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Im Café der moeglichen Traeume

Im Café der moeglichen Traeume

Titel: Im Café der moeglichen Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paola Calvetti
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Karton aus dem Versteck und zeigte ihr das Foto von der Wolke, das erste in meiner Sammlung. Im nächsten Moment hörte ich auch schon ihre Stimme: »Denk dran, Olivia, dass ich keine Todesanzeige will.« Man hat trotzdem eine aufgegeben, wie ich Jahre später herausfand, als ich die Wohnung aufräumte, wo man sie aus irgendeinem Grund aufbewahrt hatte, zusammen mit den Telegrammen von etlichen Leuten, die sie geliebt hatten und die ich gar nicht kannte. Als ich allerdings darum bat, sie nicht sehen zu müssen, wie sie da – kalt und hart wie Stein – auf ihrer Bahre liegt, wurde mir dieses Privileg mit einer gewissen Erleichterung zugestanden. Ich schwor mir, später einmal schriftliche Anweisungen zu hinterlassen, dass ich auf gar keinen Fall eine Beerdigung wollte.
    Â»Papa«, sagte ich auf dem Friedhof, »wenn ich sterbe, schick mich in den Himmel. Da ist mehr Platz, und selbst das dunkelste Dunkel wird nie so dunkel sein wie das da unten.«
    Er reagierte ausweichend, ohne mir die bittere Pille zu versüßen, und strich mir über den Kopf. »Mein Schatz«, sagte er, »das ist nicht der rechte Moment, um über solche Dinge nachzudenken.« Bei all dem Weiß überall, das auf den Bäumen lastete, als wäre die Welt verzaubert worden, schien mir der Moment allerdings genau richtig, um über meine Zukunft als Tote nachzudenken. Wer die Grabnachbarn meiner Großmutter waren, wusste ich im Übrigen auch nich t, und so machte ich mir Sorgen, dass all diese toten Unbekannten sich vielleicht gar nicht untereinander vertrugen. Ich hätte genug Zeit gehabt, um herumzugehen und ihre Namen zu lesen. Die Erwachsenen hielten den Blick derart penetrant gesenkt, dass sie den Himmel ganz vergaßen. »Sie ist da oben, Papa, das hat sie mir selbst gesagt.« Nutzlos.
    In manchen Situationen zählen Kinder nicht.
    In der Nacht nach der Beerdigung stand ich auf und drückte mein Ohr an die Schlafzimmertür. Mama weinte. Wie ein Mädchen allerdings, nicht wie eine Mama. Also lief ich in die Küche und schoss ein Foto von dem Stuhl, auf dem meine Großmutter gesessen hatte, wenn sie mir ihre Briefe vorgelesen oder Kreuzworträtsel gelöst hatte. Das Bild rutschte aus dem Schlitz und nahm meine bild- und wortreiche Kindheit mit sich fort, nicht aber die Zettelchen im Blumenkübel, die Glücksphilosophie, die Kreuzworträtsel und die Sonette von Shakespeare.
    Ich wartete ein paar Minuten, ohne damit herumzuwedeln.
    Das Polaroidfoto, das sich jetzt im Packen »Verschwundenes« befindet, glitt in Schwarzweiß heraus.
    Als hätte auch sie keine Lust mehr auf Farbe.
    Es schneit immer noch. Ich sehe eine Frau, die fast mit einem Schneepflug zusammengestoßen wäre, der den Bürgersteig blockiert. Der Fahrer streckt wie eine Schildkröte den Kopf zum Fenster heraus, gewährt ihr den Vortritt und bestätigt mit seiner galanten Geste meine Theorie: So ist es, meine Herrschaften, der Schnee verwandelt nicht nur die Landschaft, sondern auch die Herzen, und scheint die Menschen sanfter, höflicher und sympathischer zu machen. Der emsige Manuel ist gekommen, einen Lappen in der Hand, und begrüßt einen Mann, der die Empore betritt.
    Â»Hallo, Tobia, alles in Ordnung? Ich komme gleich.«
    Â»Alles in Ordnung, ja«, antwortet der Typ, der sich unter all den freien Tischen ausgerechnet auf den stürzt, der noch schmutzig ist, sofort einen Block aus seinem Leinenbeutel holt und, ohne auch nur die Jacke auszuziehen, konzentriert vor sich hinstarrt. Manuel räumt ab, nähert sich mir respektvoll und klärt mich mit leiser Stimme auf.
    Â»Ein Stammgast. Er betrachtet den Tisch ein wenig als seinen. Kommt ein paarmal in der Woche, bestellt ein Schinkensandwich mit Mayonnaise und sechs, sieben Tassen Kaffee mit viel Zucker. Angeblich bewirkt der Zucker, dass ihm tausend Ideen kommen, die er dann sofort auf seinen Block schreibt. Und Sie, Signorina? Wie ich sehe, schreiben Sie auch. Darf ich Ihnen noch irgendetwas bringen?«
    Â»Sechs, sieben Tassen auf einmal?«
    Â»Nein, nein, insgesamt sieben Tassen, und er lässt immer anschreiben. Ein sympathischer Mensch. Den Chef stört es nicht, wenn er stundenlang hier herumsitzt. Sagen wir mal, er ist so etwas wie mein … Protégé.«
    Â»Protégé«, das sagt er tatsächlich, obwohl mittlerweile nur noch wir Nostalgiker dieses Wort benutzen.
    Â»Oh, ich bin

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