Im Café der moeglichen Traeume
überstürzten Aufbruch seinen Terminkalender auf der Bank an der Eingangstür liegen lieÃ. Nicht weiter bemerkenswert, nur dass auf der aufgeschlagenen Seite vom 14. Februar mit Rotstift ein Termin eingetragen war: Prüfung Alma. Zwei allzu vertrauliche Worte, selbst für einen Kardiologieprofessor, der immer für seine Studenten da ist. Und dann noch diese Farbe! Alle anderen Termine waren mit blauem Kuli eingetragen, was einen schmerzlichen Verdacht weckte. Das Datum war der Tropfen, der das Fass zum Ãberlaufen brachte. Und es war eine Ohrfeige für Mama, die allen Proklamationen zum Trotz den Sirenen der freien Liebe nie ins Netz gegangen war. Ihre Treue war eisern, und natürlich hasste sie den Valentinstag. Nach quälenden Diskussionen und Gewissensprüfungen, wenigen Klagen, zahlreichen Tränen und bestürzten Reaktionen der Freunde, die in den beiden immer das perfekte Paar gesehen hatten, wurde schlieÃlich die Trennung beschlossen. Sie luden mich zum Abendessen ein, jeder einzeln, aber zur Bekräftigung ihrer Unzertrennlichkeit in dasselbe Restaurant.
Papa gestand mir, dass er eine Affäre mit einer Studentin hatte. Natürlich war ich bereits von Mama darüber informiert worden, mit anderen Worten und in einem weniger milden Tonfall. Aufgeregt wie ein pubertierender Teenager wiederholte er, dass er mich nicht verlasse, dass sich zwischen uns nichts ändere, dass ich doch sein Mädchen sei, dass er immer für mich da sei, dass ich ihn nicht verurteilen, sondern zu verstehen versuchen solle, blablabla. Mein Vater hatte sich in eine Frau verliebt, die ganz anders war als Mama, und um diese neue Seite seines Selbst zu erkunden, hatte er sich nichts Kreativeres einfallen lassen, als eine Familie zu zerstören.
Die Dringlichkeit, mit der er sich in dieses Abenteuer stürzen zu müssen glaubte, konnte ich ebenso wenig nachvollziehen wie den Gedanken, dass er für eine Frau schwärmte, die so viel jünger war als er. Für ein Elternteil Verständnis aufzubringen, wenn es wie ein Vierzehnjähriger daherplappert, ist allerdings auch viel verlangt. Einen derart sympathischen Vater konnte ich nicht einfach so mir nichts, dir nichts »töten«.
»Ich weià nicht, was ich sagen soll, Papa.«
AuÃer: »Wie kannst du Mama das antun?«
Was hatte er denn von mir erwartet?
Vermutlich: »Papa, ich verstehe dich.«
Ich verstand ihn aber nicht. Wie konnte er die Sicherheit einer auf Freundschaft basierenden Ehe für eine so junge Frau aufs Spiel setzen? Was für eine Gedankenlosigkeit! Irgendwann wird man die männerraubende Signorina darauf aufmerksam machen, dass sie sich um ihn kümmern muss, wenn er alt, sie aber noch ziemlich munter ist.
»Ich weià wirklich nicht, was ich sagen soll, Papa.«
Meine Wut ist mit den Monaten noch gewachsen, parallel zu dem völlig neuen Gefühl der Solidarität mit Mama, die ich immer als selbstsichere Rachegöttin wahrgenommen hatte. Auch nach der Trennung blieb sie allergisch gegen jedes Abdriften in Sentimentalitäten, aber mit der Zeit zog sie sich in eine immer kleinere Welt zurück. Sie lieà sich nie gehen und wich bestimmten Dingen stets aus, aber wenn sie sich mal zu so etwas wie einer Gefühlsregung hinreiÃen lieÃ, bog sie die Sache mit einem »Okay, vergiss es« schnell wieder ab.
»Das Herz ist ein Organ wie jedes andere«, sagte sie immer.
Und welches ist dann das Organ, das die Einsamkeit aushält? Und wenn jemand das Blut aus deinem Herzen herauspumpt, was dann? Meines wurde wie ein Schwamm ausgedrückt, als ich sie eines Abends auf dem Sofa sitzen und in den Fernseher starren sah, die Arme um die Beine geschlungen, der Kopf auf den Knien, der Rücken rund wie der Buckel einer Alten.
Der Fernseher war ausgeschaltet.
Als sie mich erblickte, riss sie sich sofort zusammen und begann, das Wohnzimmer aufzuräumen. Das superaufgeräumt und supersauber war. Mama hat schon immer in der Hausarbeit Trost gefunden, aber diese Szene in dieser Wohnung, die Papa längst von seinen Spuren â einschlieÃlich der Spuren seines Herzens â befreit hatte, ging mir nahe. Das war eine Mama aus Glas, die jeden Moment zerbrechen konnte, und nicht die Dottoressa Pincopallo, der ich fantastische Jahre verdanke.
»Mama, das geht vorbei.«
Und: »Ich würde so gerne irgendetwas für dich tun.«
Sie seufzte und sagte kaum
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