Im Café der moeglichen Traeume
Weihnachtsessen bei Tante Emma abwarten, diese Feier mit der gesamten erweiterten Familie, die ihre Konflikte gelöst und die Leidenschaften gezähmt hat und sich nun in herzlicher Freundschaft zugetan ist. Sieht man mal von Alma der Dämlichen ab, habe ich keinerlei Probleme damit und liebe unsere lautstarken, überaus harmonischen Feste.
Nein, ich werde das Ende des Weihnachtsessens abwarten. Ich werde sie überraschen, wenn sie vollgestopft sind mit den überaus teuren Köstlichkeiten, die mein Vater immer von Tiffany kommen lässt, um die Schuld zu lindern, dass er das Nest zerstört hat und nach beharrlichen Forderungen, Erpressungsversuchen und hysterischen Anfällen mit einer meiner Altersgenossinnen zusammengezogen ist. Die wiederum unter den Fittichen des umwerfendsten Kardiologen der Stadt eine vertraglich abgesicherte Assistenzärztinnenexistenz fristet und weder den Atem der Zwanzigjährigen im Nacken noch den Druck der Vierzigjährigen von oben spürt. Mein derzeitiges Nowhereland dürfte ihr ebenso fremd sein wie das abgrundtiefe Gefühl der Heimatlosigkeit, das mich befiel, als mein Vater damals ging.
Ich könnte auch bis Januar warten, der ideale Monat, um Pläne zu schmieden. Dezember bedeutet Licht, Eile, Energieverlust, Exzess.
Der Dezember ist laut.
Der Januar still.
Dezember ist Nachsicht.
Januar Verzicht.
Dezember ist ein turbulenter Monat.
Januar ein Neubeginn.
Im Januar kaufen wir weniger, essen wir weniger, haben wir mehr Zeit zum Nachdenken.
Januar ist ein Aufatmen â »das hätten wir geschafft, und jetzt beschäftigen wir uns mit etwas Ernsthaftem«.
Januar ist der Monat, in dem ich geboren bin. Ein Listentyp.
Verzicht
Alternative
Medikamente
Nach Generika fragen oder auf die Bestände meiner Eltern im Krankenhaus zugreifen
Wohnung 1
Wieder bei Mama wohnen und die Zweizimmerwohnung vermieten, aber das wäre das PHYSISCHE Eingeständnis der Niederlage. Grauenhafte Vorstellung
Wohnung 2
Eine Mitbewohnerin suchen. Aber mit wem? Meine engsten Freundinnen sind verheiratet oder liiert, und eine Unbekannte, nein, das kann ich nicht. Dann besser Mama, die ist sowieso nie da
Abends ausgehen
Verzicht üben, es sei denn, man ist eingeladen; auf rentring setzen â die Abende bei Freunden zu Hause verbringen, statt durch die Lokale zu ziehen und Geld auf den Kopf zu hauen; daheim Brettspielturniere organisieren
Klar, rentring ist eine jahrhundertealte Geschichte, seit es ein Genie wie Jane Austen geschafft hat, meisterhafte Romane zu schreiben, ohne sich von diesem Sofa wegzubewegen, auf dem geflüstert, gelästert, gekichert und über Männer geredet wurde. In der Krise stellte man das nun als ganz neue Erfindung hin.
Weg mit dem Stift, ich muss zum Klo und hoffe, dass die Bar Tabacchi wenigstens für Protégés eins hat. Zuvor fange ich jedoch ein neues Blatt an, ein weiÃes Blatt voller Hoffnungen für die Listen, die ich am ersten Januar anfertigen werde.
Projekte Vorhaben
Ich werde übermütig und füge noch eine Spalte hinzu:
Projekte Vorhaben Träume
Als kleines Souvenir für Sarah könnte ich in der Bar ein paar Polaroidaufnahmen machen. Leider habe ich mir mit Hemingway und dem GroÃvater bereits zwei schöne Motive für die neue Serie »Bar Tabacchi« entgehen lassen. Vielleicht ist es besser so: Ich verschleudere Material, dabei wird es immer schwieriger, welches zu bekommen, und die Vorräte, die ich vor Monaten bei einer Geschäftsaufgabe erworben habe, gehen langsam zu Ende.
Auch die Polaroidkamera verdankt sich einem Fall von Serendipität. Tatsächlich nimmt die SchwarzweiÃaufnahme von Mister Land, der sie erfunden hat, einen Ehrenplatz an meinem Kühlschrank ein, direkt neben dem Koch, der die Tarte Tatin erfand, indem er sie falsch rum in den Ofen schob und auf diese Weise ein tragendes Element der französischen Küche schuf.
Es geschah an einem sonnigen Nachmittag im Jahre 1943.
Mister Herbert Land, der von Beruf Physiker war, machte Urlaub in Santa Fe, und wie alle Väter dieser Erde, die Erinnerungen an ihre Kinder bewahren wollen, bevor diese unwiederbringlich groà werden, schoss er Fotos von der kleinen Jennifer.
»Lach den Papa mal an, Jenny.«
»Ja genau, sehr schön, Jen.«
» I love you, baby .«
Irgendwann fragte sie ihn, warum man das Foto nicht sofort anschauen könne. Da er ein wahres Genie war und alles getan
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