Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Café der moeglichen Traeume

Im Café der moeglichen Traeume

Titel: Im Café der moeglichen Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paola Calvetti
Vom Netzwerk:
war ein kleiner Raum im Kellergeschoss des Krankenhauses. Hand in Hand gingen sie hinunter. Die Hand seines Vaters war groß und schwitzte. Diegos Herz klopfte vor Aufregung. Ärzte liefen dort nicht herum, aber Menschen mit geschwollenen Augen. Sie flüsterten und drehten sich nach ihm um.
    Andreas Zimmer war klein und eng. Von der Wand blätterte in großen Placken der Putz ab und ließ den weißen Kalk dahinter durchschauen. Zwei Neonröhren hingen an Kettchen von der Decke. Der Boden bestand aus ochsenblutroten Fliesen. Es war so kalt, dass seine Füße in den Schuhen froren, was allerdings reine Einbildung war, da es wieder zu schneien angefangen hatte und er dicke Stiefel mit Gummisohle trug.
    Jesus hing an der Wand, aber der Nagel gab nach. Können die denn nicht einen größeren nehmen? Wie können die den Kopf des Gekreuzigten in dieser Weise baumeln lassen? Dilettanten.
    Oben befand sich ein kleines Fenster, hinter dem man auf einem Ast ein paar Vögelchen hocken sah.
    Andrea war allein.
    Allein in der Welt. Und es wurde nicht einmal ein Gebet gesprochen, das ihn hätte ein wenig aufwärmen können.
    Diego trat heran, die Hand fest in der großen Hand des Vaters. Er konnte aber nicht über diesen Horizont hinausschauen. Sie denken nicht an die Kinder, dachte er, nicht einmal dann, wenn sie einen Bruder in eine große Kiste legen, eine etwas geschmacklose Kiste übrigens, mit vergoldeten Griffen wie auf einer Schatzinsel.
    Â»Ich sehe nichts«, sagte er. »Ich möchte ihn von Nahem sehen.«
    Â»Von Nahem«, wiederholte er ständig und rieb sich wie eine Katze an der Hose des Vaters. Gegen seinen Willen hob ihn der Vater schließlich hoch und hielt ihn an der Hüfte fest, wie früher, wenn sie Flugzeug gespielt hatten. Damals hatte das Herz in seinen Ohren gepocht, vor lauter Angst, er könne runterfallen, aber gesagt hatte er nie etwas, um seinen Vater nicht zu enttäuschen. Jetzt spürte er seinen Atem im Nacken, und seine Augen kitzelten ihn wie eine Feder. Die kräftigen, starken Arme ertrugen den Schmerz, als wäre es nicht die geringste Mühe, ihn in dieser Position festzuhalten.
    Wie Andrea dalag, flößte ihm schreckliches Unbehagen ein, denn als er gefragt hatte, wo Andrea denn hingegangen sei, hatte man ihm geantwortet, dass sein Bruder »für immer« eingeschlafen sei.
    Â»Und er wird nie wieder aufwachen?«
    Â»Nein, Diego, er wird nie wieder aufwachen.«
    Sie hatten gelogen.
    In dieser Position hätte Andrea nie einschlafen können, mit dem Kopf auf einem weißen Plastikkissen, den verschränkten Armen und dem weißen Kettchen zwischen den Fingern. Andrea schlief immer zusammengekrümmt, aber sie hatten beschlossen, wie er seinen »ewigen Schlaf« zu schlafen hatte.
    Da hatten sie eine gewaltige Verantwortung auf sich genommen.
    Wenn sie ihn gefragt hätten, hätte er gesagt: »Er schläft auf der Seite, zusammengekrümmt, die Arme um die Knie geschlungen. Ein Knäuel von einem Bruder.«
    Andreas Gesicht war gelblich, aber abgesehen von der Farbe schien es tatsächlich sein Gesicht zu sein. Irgendjemand hatte ihm einen weißen Verband um den Kopf gebunden. Seine Locken schauten daraus hervor, aber man hatte den Scheitel auf der falschen Seite gemacht. Er trug das dunkle Jackett aus seiner Celloprüfung, daran konnte Diego sich noch gut erinnern, weil an jenem Tag etliche Studenten vor Andrea aufgetreten waren und er sich schon entsetzlich gelangweilt hatte. Unter dem Jackett trug er ein weißes Hemd mit einem schmalen Kragen, eine kleine Fliege und die schwarzen, frisch polierten Schuhe.
    Diego beugte sich in den Sarg hinab, ließ die Finger über die glatten Wangen gleiten und legte die Lippen auf Andreas Mund. Der war weiß und kalt wie damals im Skiurlaub, als sie mit der eiskalten Seilbahn hochgefahren waren.
    Sein Geruch war nicht wie sonst. Er roch nach überhaupt nichts.
    Diego legte das Gesicht an seine Lieblingsstelle, die weiche Stelle am Hals, in die er so gerne hineinpustete, weil das kitzelte. Er hob Andreas Finger an und gab ihm das Foto von seinem Geburtstag, als Andrea ihm geholfen hatte, die Kerzen auszupusten. Nach dem dritten Versuch hatten sie es geschafft, aber das war natürlich geschummelt. Fünf Kerzen waren ja nicht so viel, und Andrea hätte es mühelos beim ersten Mal schaffen können.
    Er steckte ihm den Glücksbringer in

Weitere Kostenlose Bücher