Im Café der moeglichen Traeume
meinen.
Den weiÃen Hintergrund hatten wir in einer ruhigen Ecke errichtet, die Anwärter für eine Polaroidaufnahme saÃen auf Plastikstühlen, und aus dem Lautsprecher kamen seichte Lieder. Drängen mussten wir niemanden. Die Kunden setzten sich in Scharen in Positur, und wir machten weiter, bis wir keine Kartuschen mehr hatten.
Das war mehr oder weniger die Geschichte meiner ersten Stelle. Wer hätte gedacht, dass ich mich derart deutlich an Details erinnere. Der Lebenslauf ist schuld, wenn der Film meines Lebens plötzlich aus dem Halbschatten heraustritt. Dass auf der Empore jetzt auch noch Musik erklingt, ist ein guter Grund, noch ein wenig zu bleiben. Ich lege die Stirn ans beschlagene Fenster. Durch den Rahmen dringt eiskalte Zugluft. Die Stadt drauÃen ist gestaltlos. Ich stelle mir vor, wie Manuel in der Küche A Day in the Life auflegt und die Poesie der preisgekrönten Firma Lennon-McCartney zu mir hochschickt. Alle stehen auf, die Leute unten legen ihre Tippscheine beiseite, Glatzkopf klatscht in die Hände, und dann tanzen wir.
Ernst und auf unsere dilettantischen Schrittfolgen konzentriert.
Er
Wenn er nicht so schüchtern wäre, hätte er sich vielleicht zum Kundenservice begeben und den Musikexperten des Supermarkts gefragt: »Entschuldigen Sie, aber warum haben Sie ausgerechnet diese Schmonzette aufgelegt und nicht etwas Wertvolleres, A Day in the Life von den Beatles zum Beispiel oder die Suite Nr. 1 für Violoncello von Johann Sebastian Bach. In manchen Gegenden Italiens spielt man sie sogar den Büffeln vor, um die Milchproduktion anzuregen, was ohne Zweifel darauf hindeutet, dass diese Musik stabile, unveräuÃerliche Gefühle hervorruft.«
Wenn er nicht so introvertiert wäre, hätte er vielleicht die Marketingexperten in eine Diskussion über die Frage verwickelt, ob der Duft der geschälten Tomaten von den Klängen abhing, welche jetzt auch die Armbewegungen der kleinen Signora beflügelten, die auf den Zehenspitzen stand und ausgerechnet nach einer Dose auf einem Regal angelte, das dreimal so hoch war wie sie.
»Könnten Sie mir bitte die Dose von da oben herunterholen?«
»Sofort, Signora, warten Sie. Hier, bitte.«
»Danke, junger Mann. Sie sind ein echter Gentleman. Das ist selten heutzutage.«
»Junger Mann« â das sagten heute nur noch Leute eines gewissen Alters â war ein Wort, das er unbedingt in sein Heft schreiben musste. Diese Gewohnheit hatte er nicht aufgegeben, und auÃerdem hatte ihn noch nie jemand als Gentleman bezeichnet. Seine Laune besserte sich. Vielleicht konnte er sich jetzt endlich auf seinen Einkauf konzentrieren.
Ein Gentleman konnte es allerdings nicht hinnehmen, einen derart idiotischen Text mit anhören zu müssen: Qué bonito es el amor, más que nunca en primavera, que mañana sale el sol porque estamos en agosto â wie schön ist die Liebe, blablabla. Um diesem akustischen Unsinn ein Ende zu bereiten, hätte er sich am liebsten zum Kundenservice begeben und gefragt: »He, wo habt ihr denn euren Verstand begraben?«
Vielleicht konnte der Kundenservice einem einsamen Elementarteilchen wie ihm aber auch helfen.
Falls es in diesem Supermarkt überhaupt einen Kundenservice gab und er sich in diesen Abfertigungshallen mit den zehn Gängen, in denen er immer die Orientierung verlor, nur etwas wohler fühlen würde. Allerdings hatte der Supermarkt, in dem er seit über einer halben Stunde herumirrte, durchaus menschliche Dimensionen. Er war nicht viel gröÃer als ein normaler Laden, hatte einem solchen gegenüber den Vorzug, dass man mit einem Einkaufswagen Roller fahren konnte, und lockte mit etlichen Angeboten: 3 x 2 oder 4 x 8, wo auch immer man hinschaute, fast als könnte man noch etwas hinzuverdienen.
Für gewöhnlich fühlte sich Diego durch die schiere Masse an Waren wie gelähmt. Musste er einkaufen, ging er in die Geschäfte unten auf der StraÃe. Dort besorgte er das Nötigste fürs Abendessen und für das Frühstück am nächsten Tag. Mittags ging er in die winzige kanzleieigene Kantine, wo alle zusammen aÃen. In der Minigemeinschaft seiner Wohnung, die er mit zwei Leuten aus seiner Kanzlei teilte, übernahm er andere Aufgaben. Er wusch ab, machte die Betten, deckte den Tisch, putzte einmal im Monat mit zusammengeknülltem Zeitungspapier die Fenster und hängte Wäsche auf. Bevor er
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