Im Café der verlorenen Jugend - Modiano, P: Im Café der verlorenen Jugend
einem jener klaren Vormittage mit Kälte, Sonne und blauem Himmel. Sie wollte Guy Lavigne besuchen, den alten Freund ihrer Mutter. Mir war es lieber, auf sie zu warten. Wir hatten uns für »in einer Stunde« verabredet, an der Straßenecke unweit der Autowerkstatt. Ich glaube, wir hatten die Absicht, Paris zu verlassen, wegen der Schlüssel, die Bob Storms uns gegeben hatte. Manchmal krampft sich das Herz zusammen bei dem Gedanken an Dinge, die hätten geschehen können und nicht geschehen sind, aber ich sage mir, dieses Haus steht heute noch leer und erwartet uns. Ich war glücklich an jenem Morgen. Und leicht. Und ich verspürte einen gewissen Rausch. Die Horizontlinie lag weit vor uns, dort hinten, in der Unendlichkeit. Eine Autowerkstatt am Ende einer stillen Gasse. Ich bedauerte, Louki nicht zu diesem Lavigne begleitet zu haben. Vielleicht hätte er uns einen Wagen geliehen, damit wir hinunterfahren konnten in den Süden.
Ich habe sie aus dem kleinen Tor der Autowerkstatt kommen sehen. Sie hat mir zugewinkt, ganz genauso wie damals, als ich auf sie und Jeannette Gaul wartete, im Sommer, auf den Quais. Sie schlendert mit dem gleichen lässigen Schritt auf mich zu, und ich glaube, sie verlangsamt ihr Tempo, so als habe die Zeit keinerlei Bedeutung mehr. Sie nimmt meinen Arm, und wir spazieren durch das Viertel. Hier werden wir eines Tages wohnen. Übrigens haben wir schon immer hier gewohnt. Wir gehen kleine Straßen entlang, wir überqueren einen menschenleeren runden Platz. Das Dorf Auteuil löst sich langsam von Paris. Diese ocker- oder sandfarbenen Häuser könnten an der Côte d’Azur stehen, und bei den Mauern fragt man sich, ob sie einen Park verbergen oder einen Waldesrand. Wir sind auf dem Kirchplatz angekommen, vor der Metrostation. Und da, ich kann es jetzt sagen, wo ich nichts mehr zu verlieren habe: da habe ich das einzige Mal in meinem Leben gespürt, was die Ewige Wiederkehr war. Bis dahin hatte ich mir Mühe gegeben, Bücher über dieses Thema zu lesen, mit dem guten Willen eines Autodidakten. Es geschah, kurz bevor wir die Treppe der Metrostation Église-d’Auteuil hinunterstiegen. Warum hier? Ich weiß es nicht, und es ist auch vollkommen egal. Ich bin einen Augenblick reglos stehengeblieben und habe ihren Arm gedrückt. Wir waren hier, miteinander, auf dem gleichen Platz, seit ewigen Zeiten, und unseren Spaziergang durch Auteuil hatten wir schon im Laufe von tausend und abertausend anderen Leben gemacht. Überflüssig, auf meine Uhr zu schauen. Ich wusste, es war Mittag.
Es ist im November passiert. An einem Samstag. Den Vormittag und den Nachmittag hatte ich in der Rue d’Argentine verbracht und über die neutralen Zonen gearbeitet. Ich wollte die vier Seiten ausbauen, wenigstens dreißig schreiben. Die Sache konnte in Schwung kommen, und vielleicht würden hundert Seiten daraus werden. Ich war mit Louki um fünf im Condé verabredet. Ich hatte beschlossen, die Rue d’Argentine in den nächsten Tagen zu verlassen. Mir schien, ich sei endgültig geheilt von den Wunden meiner Kindheit und frühen Jugend und hätte fortan keinen Grund mehr, mich in einer neutralen Zone zu verstecken.
Ich bin bis zur Metrostation Étoile gelaufen. Das war die Linie, die wir oft genommen hatten, Louki und ich, um zu den Treffen bei Guy de Vere zu fahren, die Linie, der wir beim ersten Mal zu Fuß gefolgt waren. Während der Fahrt über die Seine ist mir aufgefallen, dass viele Spaziergänger in der Allée des Cygnes unterwegs waren. Umsteigen in La Motte-Picquet-Grenelle.
Ausgestiegen bin ich in Mabillon, und ich habe noch einen Blick in Richtung La Pergola geworfen, wie wir das immer taten. Mocellini saß nicht hinter der Glasfront.
Als ich das Condé betrat, standen die Zeiger der runden Uhr an der hinteren Wand genau auf fünf. Im allgemeinen war das hier eine flaue Zeit. Die Tische waren leer, außer einem neben der Tür, wo Zacharias, Annet und Jean-Michel saßen. Alle drei schielten mit seltsamen Blicken zu mir. Sie sagten nichts. Die Gesichter von Zacharias und Annet waren aschfahl, wahrscheinlich wegen des Lichts, das von der Glasfront herabfiel. Sie gaben mir keine Antwort, als ich sie begrüßte. Sie starrten mich an mit ihren merkwürdigen Blicken, als hätte ich etwas Schlimmes getan. Jean-Michels Lippen verzerrten sich, und ich habe gespürt, dass er zu mir sprechen wollte. Eine Fliege hat sich auf die Hand von Zacharias gesetzt, und er hat sie mit einer nervösen Bewegung verscheucht. Dann
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