Im Dienst des Seelenfängers
als der Hinker Raven anstarrte. »Du!« fauchte der Hinker. »Ich habe nicht vergessen, was du in Opal getan hast. Oder wäh- rend des Feldzuges in Forsberg.«
Raven lehnte sich gegen die Wand. Er holte eines von seinen gemeineren Messern hervor und begann, sich die Fingernägel zu säubern. Er lächelte. Er lächelte den Hinker an, und Spott stand in seinen Augen.
Machte diesem Mann denn gar nichts Angst? »Was habt ihr mit dem Geld gemacht? Das gehörte nicht Seelenfänger. Die Lady hat es mir gegeben.«
Aus Ravens Trotz schöpfte ich meinen Mut. »Solltet Ihr nicht in Elm sein? Die Lady hat Euch aus dem Salient weggeschickt.«
Wut verzerrte das häßliche Gesicht. Über Stirn und linke Wange verlief eine Narbe. Sie war angeschwollen. Angeblich setzte sie sich über seine linke Brusthälfte fort. Die Weiße Rose hatte ihm persönlich diesen Hieb versetzt. Der Hinker erhob sich. Und der verdammte Raven sagte: »Hast du die Karten, Elmo? Der Tisch wird gerade frei.«
Der Blick des Hinkers verfinsterte sich noch mehr. Die Spannung stieg rasch an. »Ich will das Geld«, sagte er rauh. »Es gehört mir. Ihr könnt mit mir zusammenarbeiten oder auch nicht. Ich glaube nicht, daß es euch gefallen wird, wenn ihr es nicht tut.« »Wenn Ihr es wollt, dann holt es Euch doch«, sagte Raven. »Fangt Raker. Schlagt ihm den Kopf ab. Setzt ihn auf den Stein. Das müßte dem Hinker doch leicht fallen. Raker ist doch nur ein Brigant. Welche Chance hätte er schon gegen den Hinker?«
Ich dachte, daß der Unterworfene explodieren würde. Er tat es nicht. Einen Augenblick lang
war er völlig verdattert.
Das hielt nicht lange an. »In Ordnung. Wenn ihr es euch schwermachen wollt.« Sein Lä- cheln war breit und grausam.
Im Eingang bewegte sich ein Schatten. Eine schlanke dunkle Gestalt tauchte auf und starrte dem Hinker auf den Rücken. Ich atmete erleichtert auf. Der Hinker wirbelte herum. Einen Augenblick lang schien die Luft zwischen den Unterwor- fenen zu knistern.
Aus einem Augenwinkel sah ich, daß Goblin sich aufsetzte. Seine Finger tanzten in kompli- zierten Rhythmen. Einauge hatte das Gesicht zur Wand gedreht und flüsterte etwas in seinen Schlafsack. Raven faßte sein Messer wurfbereit an der Klinge. Elmo ergriff den Teekessel, um heißes Wasser schleudern zu können.
In meiner Reichweite befand sich kein Wurfgeschoß. Was konnte ich beisteuern, verdammt noch mal? Eine Chronik der Explosion, wenn ich die Sache überlebte? Seelenfänger machte eine winzige Handbewegung, ging um den Hinker herum und ließ sich in seinem üblichen Sessel nieder. Er hakte mit einem Fuß nach einem Stuhl am Tisch, zog ihn heran und legte die Füße drauf. Er starrte den Hinker an, und seine Finger lagen in einem Giebel aneinander vor seinem Mund. »Die Lady schickt eine Botschaft. Falls ich dir begegnen sollte. Sie will dich sehen.« Seelenfänger verwendete nur eine einzige Stimme. Eine harte weibliche Stimme. »Sie will dich wegen des Aufstandes in Elm befragen.« Der Hinker zuckte zusammen. Eine Hand auf dem Tisch zuckte nervös. »Ein Aufstand? In Elm?«
»Rebellen haben den Palast und die Baracken angegriffen.« Das lederige Gesicht des Hinkers verlor an Farbe. Das Zucken in seiner Hand verstärkte sich.
Seelenfänger sagte. »Sie will wissen, wieso du nicht dort warst, um sie zurückzuschlagen.« Der Hinker blieb noch etwa drei Sekunden. In dieser Zeit wurde sein Gesicht zu etwas Un- beschreiblichem. Selten habe ich so nackte Angst erblickt. Dann wirbelte er herum und floh. Raven ließ das Messer sausen. Es blieb im Türrahmen stecken. Der Hinker bemerkte es nicht.
Seelenfänger lachte. Das war nicht das Gelächter der letzten Tage, sondern ein tiefes, rau- hes, rachsüchtiges Gelächter. Er stand auf und wandte sich dem Fenster zu. »Aha. Jemand hat unseren Schatz einkassiert? Wann ist das passiert?« Elmo verbarg seine Reaktion, indem er aufstand und die Tür schloß. Raven sagte: »Wirf mir mal mein Messer herüber, Elmo.« Ich stellte mich neben Seelenfänger und sah hinaus. Der
Schneefall hatte aufgehört. Der Stein war sichtbar. Kalt, ohne Leuchten, obendrauf ein Zoll
Weiß.
»Ich weiß es nicht.« Ich hoffte, daß ich aufrichtig klang. »Es hat die ganze Nacht geschneit. Als ich das letzte Mal hinaussah – bevor er hier auftauchte –, konnte ich nicht das Geringste sehen. Vielleicht sollte ich besser mal nachsehen.« »Mach dir keine Mühe.« Er rückte sich den Sessel zurecht, damit er den Platz beobachten konnte. Als er später
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