Im Dienst des Seelenfängers
von Elmo Tee bekommen und ihn ausgetrunken hatte – sein Gesicht verbarg er wieder, indem er sich abwandte –, sagte er nachdenklich: »Raker ist aus dem Ver- kehr gezogen. Seine Kanaillen sind in Panik. Und, was noch schöner ist, der Hinker ist einmal mehr in Verlegenheit gebracht worden. Keine schlechte Arbeit.« »War das wahr?« fragte ich. »Das über Elm?« »Jedes Wort«, sagte er mit einer fröhlichen Elfenstimme. »Man fragt sich allerdings, woher die Rebellen wußten, daß der Hinker nicht in der Stadt war. Und woher Formwandler so rasch von dem Ärger erfuhr, daß er an Ort und Stelle sein und den Aufstand niederschlagen konnte, bevor er zu einer ernsten Gefahr wurde.« Eine weitere Pause. »Zweifellos wird der Hinker während seiner Erholungszeit darüber nachdenken.« Wieder lachte er, diesmal leiser und tie- fer.
Elmo und ich machten Frühstück. Für gewöhnlich kümmerte sich Otto um das Kochen, also hatten wir diesmal eine Entschuldigung zur Abweichung vom Üblichen. Nach einiger Zeit stellte Seelenfänger fest: »Daß ihr weiter hierbleibt, ist sinnlos. Die Gebete eures Hauptmanns sind erhört worden.«
»Wir können gehen?« fragte Elmo.
»Es gibt keinen weiteren Grund, daß ihr bleibt, oder?« Einauge hatte Gründe. Wir achteten nicht auf ihn. »Packt nach dem Frühstück zusammen«, befahl Elmo uns. »Du willst bei diesem Wetter reisen?« wollte Einauge wissen. »Der Hauptmann will, daß wir wieder zurückkommen.« Ich brachte Seelenfänger einen Teller mit Rühreiern. Ich weiß nicht, warum. Er aß nicht oft, und Frühstück nahm er fast nie zu sich. Aber er nahm es an und drehte uns den Rücken zu. Ich sah aus dem Fenster. Die Meute hatte die Veränderung bemerkt. Jemand hatte den Schnee von Rakers Gesicht gewischt. Seine Augen standen offen und schienen alles aufzu- nehmen. Unheimlich.
Unter dem Tisch krabbelten Männer auf allen vieren und zankten sich um die Münzen, die wir zurückgelassen hatten. Die Stelle wimmelte wie vor Maden in einer verwesten Leiche. »Jemand sollte ihm Ehre erweisen«, murmelte ich. »Er war ein verdammt harter Gegner.« »Du hast deine Annalen«, sagte Seelenfänger zu mir und ergänzte dann: »Nur ein Eroberer macht sich die Mühe, einem gefallenen Gegner Ehre zu erweisen.«
Da war ich gerade auf dem Weg zu meinem eigenen Teller. Ich fragte mich, was er damit
meinte, aber im Augenblick war mir ein warmes Essen wichtiger. Bis auf mich und Otto waren alle unten am Stall. Sie wollten den Wagen für den verwunde- ten Soldaten herbringen. Ich hatte ihm etwas gegeben, damit er die bevorstehenden Strapazen durchstand.
Plötzlich sagte Seelenfänger: »Sie ist sehr schön, Croaker. Sieht jung aus. Frisch. Blendend. Mit einem Herz aus Feuerstein. Im Vergleich dazu ist der Hinker ein warmer Welpe. Bete, daß du nie ihren Blick auf dich ziehst.« Seelenfänger starrte zum Fenster hinaus. Ich wollte Fragen stellen, aber mir fielen auf ein- mal keine ein. Verdammt. Da verpaßte ich eine echte Gelegenheit. Welche Farbe hatte ihr Haar? Ihre Augen? Wie war ihr Lächeln? Es bedeutete mir sehr viel, als ich es nicht wissen konnte.
Seelenfänger erhob sich und warf sich seinen Umhang über. »Und wenn es nur des Hinkers willen gewesen ist, so ist es das doch wert gewesen«, sagte er. An der Tür blieb er stehen und durchbohrte mich mit seinem Blick. »Du und Elmo und Raven. Trinkt einen auf mein Wohl. Ja?«
Dann war er verschwunden.
Elmo kam kurz darauf herein. Wir hoben Otto hoch und machten uns auf den Rückweg nach Meystrikt. Noch lange danach waren meine Nerven keinen verdammten Pfennig wert.
VIERTES KAPITEL
Wisper
Der Einsatz lieferte uns den größten Gewinn, an den ich mich erinnern kann, für den glei- chermaßen geringsten Aufwand. Es war schieres Glück, das diesmal hundertprozentig auf un- serer Seite war. Für die Rebellen war es eine Katastrophe. Wir befanden uns auf der Flucht aus dem Salient, wo die Verteidigungslinien der Lady bei- nahe über Nacht zusammengebrochen waren. Mit uns auf der Flucht waren etwa fünf- oder sechshundert reguläre Truppen, die von ihren Einheiten abgeschnitten worden waren. Damit es schneller ging, hatte der Hauptmann beschlossen, den Wolkenwald auf direktem Weg nach Lords zu durchqueren, anstatt darum herum der längeren Südstraße zu folgen. Ein Bataillon der Rebellenhauptarmee befand sich einen oder zwei Tagesmärsche hinter uns. Wir hätten umdrehen und sie verprügeln können, aber statt dessen wollte der Hauptmann sie
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