Im Dienst des Seelenfängers
das Material, das ihr vergraben gefunden habt. Wir glauben nicht, daß sie weiß, daß wir es haben. Sie kam nicht mehr in die Nähe ihres Hauptquartiers, bevor Hinker sich voreilig zeigte und sie in die Wälder geflohen ist. Und von den Dokumenten wissen nur wir vier und die Lady.« Raven und ich nickten. Nun verstanden wir auch Fängers Unruhe. Wisper kannte seinen wahren Namen. Er saß auf dem Präsentierteller.
»Was habt Ihr mit uns vor?« fragte Raven argwöhnisch. Er befürchtete, daß Fänger glaubte,
daß wir seinen wahren Namen entziffert hätten. Er hatte sogar vorgeschlagen, daß wir den Unterworfenen töteten, bevor er uns umbrachte. Die Zehn sind weder unsterblich noch un- verwundbar, aber man 1 kommt verdammt schwer an sie heran. Ich wollte niemals einen An- griff auf einen von ihnen versuchen.
»Wir drei, wir gehen auf einen Sondereinsatz.« Raven und ich tauschten einen Blick. Versuchte er, uns in eine Falle zu locken? Fänger sagte: »Hauptmann, würdet Ihr für eine Minute nach draußen gehen?« Der Hauptmann stapfte durch die Tür. Sein Bärengehabe ist nur Schau. Ich nehme nicht an, daß er weiß, daß wir das schon seit Jahren wissen. Er macht damit weiter und baut auf ] die Wirkung.
»Ich werde euch nicht irgendwohin bringen, um euch dort umzubringen«, sagte Seelenfän- ger zu uns. »Nein, Raven, ich glaube nicht, daß du meinen wahren Namen herausgefunden ] hast.«
Gespenstisch. Ich zog den Kopf ein. Raven machte eine rasche Handbewegung. Ein Messer tauchte auf. Er begann, sich \ die bereits makellos sauberen Fingernägel zu reinigen. »Die kritische Entwicklung ist folgende: Wisper hat den Hinker aufgehetzt, nachdem wir ihn bei der Raker-Affäre zum Narren gehalten hatten.« Ich platzte heraus: »Das erklärt die Geschehnisse im Salient. Wir hatten ihn im Sack. Über Nacht fiel alles auseinander. Und bei der Schlacht um Rosen war er der reinste Scheißkerl.« Raven stimmte mir zu: »Rosen war seine Schuld. Aber niemand hielt es für Verrat. Schließ- lich gehört er zu den Zehn.«
»Ja«, sagte Fänger. »Es erklärt vieles. Aber der Salient und Rosen sind Schnee von gestern. Unsere Interessen liegen im Morgen. Wir müssen Wisper loswerden, bevor sie uns eine weite- re Katastrophe beschert.«
Raven musterte Fänger, musterte mich, fuhr mit seiner unnötigen Maniküre fort. Ich nahm dem Unterworfenen seine Geschichte auch nicht zur Gänze ab. Wir geringeren Sterblichen sind für sie nur Spielzeuge und Werkzeuge. Sie gehören zu der Sorte, die die Knochen ihrer Großmütter ausgräbt, um bei der Lady Punkte einzuheimsen. »Das ist unser Vorteil gegenüber Wisper«, sagte Seelenfänger. »Wir wissen, daß sie damit einverstanden ist, sich morgen mit dem Hinker zu treffen…« »Woher?« wollte Raven wissen.
» Ich weiß es nicht. Die Lady hat es mir gesagt. Hinker weiß nicht, daß wir über ihn Be- scheid wissen, aber er weiß, daß er sich nicht mehr lange halten kann. Vermutlich will er eine Vereinbarung treffen, damit der Kreis ihn beschützen wird. Er weiß, daß er tot ist, wenn er es nicht tut. Die Lady will nun, daß sie gemeinsam sterben, damit der Kreis vermutet, daß sie sich an den Hinker verkauft hat, anstatt umgekehrt.« »Das wird nicht klappen«, knurrte Raven.
»Sie werden es schon glauben.«
»Also sollen wir ihn erledigen«, sagte ich. »Ich und Raven. Mit Pfeil und Bogen. Und wie sollen wir sie finden?« Ganz gleich was er sagte, Fänger würde nicht dabei sein. Sowohl der Hinker als auch Wisper würden seine Anwesenheit spüren, lange bevor er in Schußweite kam. »Hinker wird in der Nähe der Streitkräfte sein, die in den Wald vorrücken. Da er nicht weiß, daß er unter Verdacht steht, wird er sich auch nicht vor dem Auge der Lady verbergen. Er wird davon ausgehen, daß seine Bewegungen als Bestandteil der Suche angesehen werden. Die Lady wird seinen Aufenthalt an mich weitergeben. Ich werde euch auf seine Fährte set- zen. Wenn sie zusammentreffen, erledigt ihr sie.« »Na klar«, höhnte Raven. »Sicher. Das reinste Tontaubenschießen.« Er warf sein Messer. Es drang tief in einen Fensterrahmen. Er stampfte aus dem Zimmer. Mir kam die Sache auch nicht besser vor. Ich starrte Seelenfänger an und rang vielleicht zwei Sekunden mit mir, bevor die Angst mich Raven hinterhertrieb. Mein letzter Blick auf Fänger war der auf einen müden Menschen, der sich vor Elend zu- sammenkauert. Vermutlich ist es schwer für sie, mit ihrem Ruf zu leben. Wir alle wollen, daß die
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