Im Dienst des Seelenfängers
entfernt von ihm bin? Wie viele Einzelheiten werden in den mündlichen Be- richten verlorengehen, die ich danach werde sammeln müssen? Wie viele Männer werden fallen, ohne daß ihr Tod überhaupt gesehen wird? Doch die meiste Zeit verbringe ich damit, über den Hinker und die Lady nachzudenken. Und mich zu quälen.
Ich denke nicht, daß ich noch weitere niedliche, romantische Phantasien über unsere Arbeit- geberin schreiben werde. Ich bin ihr zu nahe gekommen. Ich bin nun nicht mehr verliebt. Ich bin ein gepeinigter Mann. Mich peinigen die Schreie des Hinkers. Mich peinigt das Ge- lächter der Lady. Mich peinigt der Verdacht, daß wir uns dem Dienst an etwas verschrieben haben, das es verdient, vom Antlitz der Erde hinweggefegt zu werden. Mich peinigt die Über- zeugung, daß jene, die sich der Vernichtung der Lady geweiht haben, nur wenig besser sind als sie.
Mich peinigt die klare Erkenntnis, daß letzten Endes das Böse stets den Sieg davonträgt. Oje, Es gibt Ärger. Eine fiese schwarze Wolke kriecht über die Hügel gen Nordosten. Alle rennen herum, sammeln ihre Waffen ein und satteln die Pferde. Raven brüllt mich an, daß ich meinen Hintern in Bewegung setzen soll…
FÜNFTES KAPITEL
Harden
Der Wind heulte und schleuderte Staubfahnen und Sandwehen gegen unsere Rücken. Wir zogen uns im Rückwärtsgang in ihn hinein zurück; der Sandsturm fand jede Lücke in unserer Panzerung und Kleidung und verband sich mit Schweiß zu einem stinkenden salzigen Matsch. Die Luft war heiß und trocken. Sie sog die Feuchtigkeit rasch auf und ließ den Matsch zu Klumpen getrocknet zurück. Uns allen waren die Lippen aufgesprungen und angeschwollen, und die Zungen fühlten sich an wie schimmelige Kissen und kämpften gegen den Sand, der das Innere unserer Münder verkrustete.
Sturmbringer hatte sich gehen lassen. Wir litten fast so sehr wie die Rebellen. Man konnte kaum ein Dutzend Meter weit sehen. Ich konnte die Männer rechts und links von mir kaum erkennen und nur zwei Männer der hinteren Wachreihe, die rückwärts vor mir schritten. Das Wissen, daß unsere Feinde uns mit den Gesichtern im Wind folgen mußten, trug wenig zu meiner Aufheiterung bei.
Die Männer in der anderen Reihe wurden plötzlich unruhig und machten ihre Bogen bereit. Hohe Silhouetten tauchten aus dem wirbelnden Staub auf, Wolkenschatten tanzten um sie herum und flatterten wie riesige Schwingen. Ich spannte meinen Bogen und schoß in der Ge- wißheit, daß mein Pfeil danebenfliegen würde. Das tat er nicht. Ein Reiter warf die Arme in die Luft. Sein Tier wirbelte herum, rannte vor dem Wind davon und folgte reiterlosen Gefährten. Sie bedrängten uns, blieben in der Nähe und versuchten uns zu erledigen, bevor wir aus dem Windland in die Zährenstiege entkamen, die man besser verteidigen konnte. Sie wollten jeden einzelnen von uns tot und ausgeplündert unter der gnadenlosen Wüstensonne ausgestreckt sehen.
Ein Schritt zurück. Noch ein Schritt zurück. So verflucht langsam. Aber wir hatten keine Wahl. Wenn wir ihnen den Rücken zukehrten, würden sie über uns herfallen. Wir mußten sie für jeden Vorstoß büßen lassen, ihnen ihren Übermut gründlich austreiben. Sturmbringers Sendung war unser bester Schutz. Zu seinen besten Zeiten ist das Windland wild und rauh, flach, öde und trocken, unbewohnt, ein Ort, wo Sandstürme alltäglich sind. Aber noch nie hatte es einen Sturm wie diesen erlebt, der Stunde um Stunde und Tag um Tag wehte und nur während der Nachtstunden nachließ. Er machte das Windland zu einem Ort, an dem nichts Lebendes gedeihen konnte. Und nur das hielt die Kompanie am Leben. Mittlerweile waren wir dreitausend Mann, die vor der unaufhaltsamen Flut, die Lords über- spült hatte, zurückwichen. Da unsere kleine Bruderschaft sich geweigert hatte, zerschlagen zu werden, war sie zu einem Kernpunkt geworden, an den sich die Flüchtlinge des Desasters angeschlossen hatten, nachdem der Hauptmann erst einmal die Belagerungslinien durchbrach. Wir waren Hirn und Nerven dieses fliehenden Schattens eines Heeres geworden. Die Lady hatte höchstpersönlich an alle Offiziere des Reiches den Befehl ausgegeben, den Anweisun- gen des Hauptmanns zu folgen. Während des Nordfeldzuges hatte nur die Kompanie nen- nenswerte Erfolge erzielt.
Jemand kam aus dem Staub und dem Geheul hinter mir hervor und tippte mir auf die Schul- ter. Ich wirbelte herum. Noch war es nicht soweit, daß ich die Reihe verlassen konnte.
Raven stand vor mir. Der Hauptmann
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