Im Dienst des Seelenfängers
hatte herausgefunden, wo ich war.
Ravens Kopf war ganz mit Tüchern umwickelt. Ich blinzelte und hob eine Hand, um den stechenden Sand abzuhalten. Er schrie etwas wie »De Aua willi see«. Ich schüttelte den Kopf. Er zeigte nach hinten, packte mich, schrie mir ins Ohr: »Der Hauptmann will dich sehen.« Natürlich wollte er das. Ich nickte, reichte den Bogen und .die Pfeile an ihn weiter, und stemmte mich in den Wind und den Sand. Waffen waren Mangelware. Die Pfeile, die ich ihm gegeben hatte, stammten von den Rebellen; ich hatte sie eingesammelt, als sie kraftlos aus dem bräunlichen Dunst herausgeflogen kamen. Latsch, latsch, latsch. Sand prasselte mir auf die Schädeldecke, als ich mit auf die Brust ge- preßtem Kinn, geduckt und mit zusammengekniffenen Augen losmarschierte. Ich wollte nicht nach hinten gehen. Der Hauptmann würde mir nichts sagen, was ich hören wollte. Ein großer Strauch wirbelte und hopste auf mich zu; er warf mich beinahe um. Ich lachte. Formwandler war bei uns. Die Rebellen würden viele Pfeile vergeuden, wenn das Ding auf ihre Linien traf. Sie waren uns zehn oder fünfzehn zu eins überlegen, aber ihre Anzahl konnte ihre Furcht vor den Unterworfenen nicht mildern. Ich stapfte weiter in die Zähne des Windes, bis ich davon überzeugt war, daß ich zu weit ge- gangen war oder die Richtung verfehlt hatte. Es war immer dasselbe. Als ich mich schon zum Aufgeben entschlossen hatte, war sie da, diese wundervolle Friedensinsel. Ich trat ein und stolperte, als der Wind plötzlich nicht mehr da war. Meine Ohren dröhnten und weigerten sich, an die Ruhe zu glauben.
In der Stille rollten dreißig Wagen Rad an Rad in dichter Formation. In den meisten davon befanden sich Verwundete. Eintausend Mann umringten die Wagen und stapften beharrlich gen Süden. Sie starrten zu Boden und fürchteten den Augenblick, wenn sie an der Reihe wa- ren, ihren Platz in der hinteren Linie einzunehmen. Es gab keine Unterhaltung, keine Scherze wurden ausgetauscht. Sie hatten zu viele Rückzüge erlebt. Sie folgten dem Hauptmann nur, weil er ihnen eine Möglichkeit zum Überleben versprochen hatte. »Croaker! Hier drüben!« Der Leutnant winkte mich zur rechten Außenseite der Formation. Der Hauptmann sah aus wie ein von Natur aus mißmutiger Bär, der vorzeitig aus dem Win- terschlaf geweckt worden ist. Seine grauen Schläfen zuckten, als er auf den Worten kaute, bevor er sie ausspuckte. Sein Gesicht war verquollen. Seine Augen waren dunkle Höhlen. Seine Stimme klang unendlich müde. »Ich dachte, ich hätte dir gesagt, daß du in der Nähe bleiben sollst.«
»Ich war an der Reihe…«
»Du gehörst nicht zu denen, die irgendwann an der Reihe sind, Croaker. Ich will mal sehen, ob ich es in Worte fassen kann, die für dich einfach genug sind. Wir haben dreitausend Mann hier. Wir haben ständige Berührung mit den Rebellen. Wir haben einen quacksalbrigen He- xendoktor und einen echten Arzt, die diese Jungens versorgen können. Einauge muß die Hälf- te seiner Kraft darauf verwenden, diese Friedenskuppel aufrechtzuerhalten. Also bist du der einzige, der die medizinischen Aufgaben wahrnehmen kann. Das bedeutet auch, daß du dich nicht an der Linie in Gefahr begibst. Aus welchem Grund auch immer.« Ich starrte in die Leere über seiner linken Schulter und warf dem Sand um die Sichere Zone böse Blicke zu.
»Komme ich bei dir durch, Croaker? Bin ich deutlich genug? Ich weiß deine Hingabe an die
Annalen zu schätzen, deine Entschlossenheit, ein Gefühl für die Kampfhandlungen zu be- kommen, aber…«
Ich nickte, warf einen Blick auf die Wagen und ihre traurige Last. So viele Verwundete, und nur so wenig, was ich für sie tun konnte. Er erkannte das Gefühl der Hilflosigkeit nicht, das dadurch in mir aufkam. Ich konnte sie nur zusammenflicken und beten und es den Sterbenden leicht machen, bis sie tot waren – danach warfen wir sie von den Wagen, um Platz für Neuan- kömmlinge zu schaffen.
Zu viele starben mir weg, die nicht hätten sterben müssen, wenn ich Zeit, ausgebildeten Bei- stand und eine anständige Ausrüstung gehabt hätte. Warum ging ich zur Kampflinie hinaus? Weil ich dort etwas bewirken konnte. Ich konnte gegen unsere Peiniger zurückschlagen. »Croaker«, knurrte der Hauptmann, »irgendwie habe ich das Gefühl, daß du mir nicht zu- hörst.«
»Ja, Sir. Verstanden, Sir. Ich werde hierbleiben und mich um meine Näharbeiten kümmern.« »Mach kein so saures Gesicht.« Er berührte meine Schulter. »Fänger sagt,
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