Im Dienste der Comtesse
sollte nicht ausgerechnet Saint-André sein, der Mélusine beschützte, aber Pierce konnte nicht bleiben und er konnte sie auch nicht bitten, ihn zu begleiten, wenn seine Zukunft in England so ungeklärt war. „Wenn ich zurückkommen kann …“, fing er an.
Sie drehte sich um und legte ihm einen Finger über den Mund. „Versprich nichts. Nicht einmal stumm in deinem Herzen.“
Er nahm ihre Hand und küsste die Fingerspitzen. „Ich verdiene deine Großzügigkeit nicht.“
„Ich bin nicht großzügig – ich bin böse auf dich.“ Sie lächelte etwas gequält. „Ich wollte dich noch einmal zeichnen. Ich glaube, du bist diesem Part deiner Pflichten absichtlich aus dem Weg gegangen.“
Er presste die Lippen aufeinander. Dass Saint-André alternativ für sie Modell stehen sollte, würde er ihr gewiss nicht vorschlagen. „Nachher, später, wenn wir alles andere geregelt haben. Wenn du dann noch Lust dazu hast …“
Sie sah ihn ernst an, schließlich nickte sie und lächelte. „Ich danke dir. Und eigentlich könntest du mir jetzt sagen, wie du heißt“, fügte sie hinzu. „Im Moment fällt mir dein Name nicht ein, aber ich bin sicher, dass ich mich wieder an ihn erinnern werde.“
„Du hast meinen Namen noch nie gehört“, wandte er verwundert ein.
„Doch. Ich habe schon die ganze Zeit darüber nachgedacht. Wer könnte der englische Freibeuter sein, der Bertiers Partner war? Jemand, der jetzt einen hohen, angesehenen Rang in der Gesellschaft hat. Vielleicht jemand mit einer französischen Ehefrau?“ Sie lächelte geradewegs in Pierces erschrockenes Gesicht. „Ich glaube, der Freibeuter ist Henry de La Motte“, sagte sie. „Er und seine Frau haben uns damals kurz nach unserer Hochzeit besucht. Aber dein Name will mir einfach nicht einfallen.“ Ihre Miene wurde ernst und in ihren Augen standen Tränen. „Deine Mutter war so stolz auf dich“, flüsterte sie. „Aber ich weiß nicht mehr, wie sie dich genannt hat.“
„Pierce.“ Aufgewühlt küsste er sie auf die Schläfe. „Pierce Cardew.“
„Stimmt, nun weiß ich es wieder. Pierce Cardew.“ Sie runzelte die Stirn und versuchte, sich auch noch an den Rest zu erinnern. „Vicomte de … Basspur?“
„Viscount Blackspur“, verbesserte er.
„Blackspur“, sprach sie ihm nach. Anschließend barg sie das Gesicht an seiner Schulter und drückte ihn fest an sich.
An jenem Nachmittag kam der König nach Paris, und alle Kutschen und Fuhrwerke mussten die Straßen räumen. Pierce und Mélusine hatten kein Interesse daran, sein Eintreffen von der Straße aus zu verfolgen, aber Saint-André gab ihnen einen kurzen Bericht über die Ereignisse, als er zurückkehrte.
Louis de Crosne konnte sich nicht länger Polizeipräsident nennen, aber er war dem Schicksal des Gouverneurs der Bastille und einiger anderer Amtspersonen entgangen, deren Köpfe von der siegestrunkenen Menge durch die Straßen getragen worden waren.
„Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sich jetzt noch jemand für Séraphins Verbrechen oder die Verfehlungen des Polizeiinspektors interessiert“, vermutete Saint-André. „Unter diesen Umständen bleibt uns nichts anderes übrig, als die Angelegenheit selbst in die Hand zu nehmen.“
„Das hatten Sie doch schon immer vor – alle beide“, warf Mélusine ein. „Erzählen Sie uns etwas über den König.“
„Die Menge brüllte Vive la Nation! Vive Necker! , aber niemand ließ den König hochleben, bis er sich die blaurote Kokarde an den Hut heftete“, berichtete Saint-André. „Monsieur Bailly hatte sie ihm gegeben. Er ist der neue Bürgermeister. Lafayette hat man zum Oberbefehlshaber der Nationalgarde ernannt.“
„Ich nehme an, das hat dem König nicht sonderlich gefallen“, meinte Mélusine.
„Er wirkte etwas benommen und bedrückt“, bestätigte der Marquis. „Ich wage zu behaupten, dass er nicht zu fassen vermag, was ihm widerfahren ist. Das kann man auch gar nicht, wenn zum ersten Mal die Gefängnistür hinter einem zuschlägt. Und trotz all der höflichen Reden ist es genau das, was dem König passiert ist.“
„Das tut mir leid“, murmelte Mélusine, denn sie sah ihm an, dass er gerade an seine eigene Verhaftung gedacht hatte.
Seine Miene hellte sich gleich wieder auf. „Ich musste nur wenige Unannehmlichkeiten ertragen und hatte außerdem die wunderbare Gelegenheit, meine Wissenschaft zu vertiefen“,sagte er leichthin. „Ich bin froh, berichten zu können, dass ich nicht das geringste Bedürfnis verspürt
Weitere Kostenlose Bücher