Im Dienste der Comtesse
paar Meter weiter blieb sie so abrupt stehen, dass Pierce gegen sie prallte. Er hielt sie an den Schultern fest, damit sie nicht beide das Gleichgewicht verloren. Auch das schien sie nicht zu merken. Sie sah ihn aus großen, dunkel gewordenen Augen an. „Wir müssen zur Bastille“, sagte sie.
„ Wie bitte ? Warum, zum …“ Er unterdrückte einen Fluch. „Madame, gehen Sie bitte weiter nach Hause, ja?“
„Ja. Wir werden die Kutsche nehmen müssen. Veranlassen Sie das, sobald wir angekommen sind.“ Sie fiel nun fast in einen Laufschritt.
„Wir reden oben weiter“, beharrte Pierce, als sie das Haus erreicht hatten.
„Paul, sagen Sie Georges, er soll die Kutsche fertig machen“, teilte Mélusine dem Portier mit.
Pierce legte eine Hand unter ihren Ellenbogen und drängte sie vorwärts. „Oben, Madame!“
Sie wurde kreidebleich bei seinem Tonfall, aber Pierce sah, wie ihre Augen empört funkelten.
Sie wollte etwas erwidern, bemerkte aber die neugierigen Blicke des Portiers, raffte ihre Röcke und eilte die Treppe empor. Pierce folgte ihr wesentlich langsamer in das Appartement in der ersten Etage. Der Salon stand nach wie vor leer, und ihre Schritte hallten in ihm wider.
„Ich werde Sie nicht zur Bastille bringen“, teilte er ihr mit, als sie zu ihm herumwirbelte.
„Ich wusste , Sie würden anfangen, mir Befehle zu erteilen. Ich wusste es! Sie haben keine Befugnis, mir zu sagen, was ich zu tun oder zu lassen habe! Das ist meine Entscheidung – nicht Ihre.“
„Dann sagen Sie mir, warum.“ Er hatte in den letzten Tagen gelernt, dass Mélusine für alles, was sie tat, einen Grund hatte. Es musste eine Erklärung geben für ihren plötzlichen, unerhörten Entschluss, das berüchtigtste Gefängnis von Paris aufzusuchen.
„Das brauchen Sie nicht zu wissen. Sie machen einfach nur das, was ich Ihnen zu verstehen gebe.“ Ihr Atem ging so schnell, dass sie beinahe keuchte.
„Ich bin ein Diener, kein Sklave“, wandte er ruhig ein. „Ich habe durchaus das Recht, zu erfahren, warum ich Sie in eine so gefährliche Gegend begleiten soll.“
Allmählich wich ihr Zorn einem schockierten, ratlosen Gesichtsausdruck. Schließlich hob sie das Kinn. „Wenn Sie zu ängstlich sind, mit mir zu kommen, gehe ich eben ohne Sie.“ Sie wollte an ihm vorbeigehen.
„Nein, bei Gott, das werden Sie nicht tun!“ Er hielt sie am Arm fest und merkte, dass auch er allmählich zornig wurde.
„Lassen Sie mich los!“
„Sie fahren nicht allein zur Bastille.“
„Georges wird mich begleiten. Er macht bestimmt nicht solch ein Theater um diese kleine Ausfahrt.“
„Sie wissen sehr gut, dass ich nicht um meine eigene Sicherheit besorgt bin“, rief Pierce ungeduldig aus.
„Sie sagten, es wäre eine gefährliche Gegend.“
„Das ist es auch. Wie sind Sie nur so plötzlich auf die Idee gekommen, zur Bastille zu fahren? Ich bin mir sicher, dass Sie diese Absicht vorhin noch nicht hatten.“
Mélusine sah ihn an und nagte an ihrer Unterlippe. „Da ist sonst niemand mehr, mit dem ich reden könnte“, sagte sie zögernd. „Mit Thérèse Petit kann ich nicht sprechen. Der Polizeiinspektor ist tot. Es sieht so aus, dass an den Gerüchten um Bertiers Tod doch etwas Wahres dran sein könnte. Ich weiß nicht, wen ich sonst noch fragen könnte.“
„Aber um wen handelt es sich?“
„Um den Marquis de Saint-André.“
Pierce erinnerte sich, dass der Name bei der Gesellschaft neulich gefallen war. Die Gäste hatten kurz die Verhaftung des Marquis erwähnt. Pierce wusste, dass Saint-André ein Bekannter von Bertier gewesen war, aber durch die Einkerkerung in der Bastille kam er als Verdächtiger für die Erpressung kaum infrage, und deshalb hatte Pierce sich kaum für ihn interessiert.
„Er war Bertiers engster Freund“, stieß Mélusine gepresst hervor. „Finden Sie es nicht auch verdächtig, dass Bertier tot ist, der Polizeiinspektor, der seine Leiche nach Hause gebracht hat, ebenfalls, und sein bester Freund in der Bastille sitzt?“
Pierce wurde ganz still. So betrachtet ergab Mélusines Entschlossenheit, mit Saint-André zu sprechen, deutlich mehr Sinn. Er verstand nur nicht, dass sie ihn jetzt zum ersten Mal erwähnte. „War er nicht auch Ihr Freund?“, erkundigte er sich langsam.
„Das dachte ich.“ Sie wandte sich ab und ging zum Fenster.
Eine dunkle Vorahnung stieg in ihm auf. „Hat er Ihnen wehgetan?“, fragte er schroff.
„Ich möchte nicht über ihn sprechen.“
„Und doch wollen Sie zur
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