Im Dienste der Comtesse
hatte er erfahren, dass es in Saint-Antoine schon vor drei Monaten zu bedrohlichen Krawallen gekommen war, bei denen eine große Anzahl von Menschen verletzt oder gar getötet wurde. Den Gesichtern nach zu urteilen, an denen sie vorbeifuhren, bedurfte es wahrscheinlich nur eines Funkens, um den nächsten Aufstand auszulösen.
Es gefiel ihm nicht, Mélusine in eine so unberechenbare Gegend zu bringen, doch sobald sie verstanden hatte, worauf es ihm ankam, war sie sofort bereit gewesen, ihr schlichtestes Kleid anzuziehen. Am Tag der Essensgesellschaft war so viel anderes passiert, dass sie die Jugendlichen fast vergessen hatte, die ihre Kutsche auf dem Heimweg mit Gegenständen bewarfen. Als er sie daran erinnerte, fuhr sie zwar erschrocken zusammen, hatte aber weiterhin darauf bestanden, ihren Plan, die Bastille aufzusuchen, zu realisieren.
„Es gibt zwei Innenhöfe“, erklärte Georges. „Durch dieses Tor da vorne gelangt man in den ersten. Er ist wie ein Gang gestaltet, der mehr oder weniger um die Gefängnismauern herumführt. Auf der linken Seite befinden sich die Unterkünfte der Soldaten, auf der rechten sind Läden. An einer Stelle am Ende des Ganges ist ein weiteres Tor mit einer Zugbrücke über einen Graben, darüber gelangt man in den nächsten Innenhof, der das Quartier des Gouverneurs und einen Garten beherbergt. Die bauen dort recht guten Kohl an.“
„Sie waren schon einmal im Garten des Gouverneurs?“, rief Pierce erstaunt aus.
Georges zuckte die Achseln. „In letzter Zeit nicht mehr. Mein Bruder wohnt nur ein paar Straßen von hier entfernt. In friedlicheren Zeiten haben wir manchmal einen Spaziergang dorthin gemacht, um zu plaudern und eine zu rauchen.“ Er sah zu dem nächststehenden Turm und machte ein ungehaltenes Gesicht. „Sie sollten die Kanonen nicht auf ihre eigenen Leute richten. Es scheint also zu stimmen – sie sind bereit, Paris in Schutt und Asche zu legen.“
Pierce folgte der Richtung, in die der Kutscher sah. Es war nicht zu übersehen, dass man sich darauf vorbereitet hatte, sich gegen eine Erstürmung zur Wehr zu setzen. Mehrere Fenster in den Türmen und Mauern waren verrammelt worden, und die Kanonenmündungen waren allesamt nach unten auf die umliegenden Straßen gerichtet. Es war ein gruseliger Anblick. Pierce konnte es den Leuten nicht verübeln, dass sie misstrauisch und gereizt waren.
Er sprang vom Bock der Kutsche, um die Tür für Mélusine zu öffnen. Sie stieg aus und hielt seine Hand ganz fest, als sie an den bedrohlich wirkenden Mauern hinaufsah. Beim Anblick der Kanonen zuckte sie zusammen. „Ob sie wohl damit schießen werden?“
„Sie könnten den Gouverneur danach fragen – falls sich die Gelegenheit dazu ergibt“, erwiderte Pierce. „Sind Sie immer noch entschlossen, hineinzugehen?“
Sie sah ihn an und nickte. „Ich bin froh, wenn ich es hinter mir habe“, flüsterte sie, als sie den ersten Innenhof betraten.
„Ich auch.“ Unbehelligt setzten sie ihren Weg fort. Mélusine hielt sich dicht neben ihm und hakte sich bei ihm unter. Das war zwar nicht das richtige Verhalten einer Dame ihrem Diener gegenüber, aber da Pierce seine Livree nicht trug, machte er keine Bemerkung. Außerdem war er viel zu beunruhigt darüber, wie gut es ihm gefiel, ihre Hand auf seinem Arm zu spüren. Doch angesichts der Tatsache, dass sie ihn unbewusst eher wie einen Geleitschutz behandelte als wie einen Diener, war er wohl gut beraten, einen kühlen Kopf zu bewahren.
Genau wie Georges beschrieben hatte, befand sich am Ende des ersten Hofs und einigen Geschäften ein weiteres Tor mit einer Zugbrücke. Pierce sprach mit dem Wachposten, und sie durften den nächsten Innenhof betreten.
„Das war ein Parfumladen!“, zischte Mélusine leise, als sie darauf warteten, dass der Gouverneur sie empfing. „Ein Parfumladen gleich neben dem Tor zur Bastille!“
Pierce sah sie an. Sie war blass und ihre Augen waren geweitet, er entdeckte in ihnen eine Mischung aus Nervosität und Erstaunen. Sie umklammerte seinen Arm so fest, dass er wahrscheinlich blaue Flecken davon bekommen würde, aber er war auf eigenartige Weise erleichtert, dass sie ihn an ihrer Reaktion auf die Umgebung teilhaben ließ. Über Saint-André hatte sie ihm nicht die ganze Wahrheit verraten, aber ansonsten schien sie keine größere Distanz ihm gegenüber zu wahren.
„Madame de Gilocourt, ich bedauere, nicht schon früher das Vergnügen Ihrer Bekanntschaft gehabt zu haben. Darf ich mich vorstellen
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