Im Dienste der Comtesse
Bastille fahren und ihn sehen?“
„Ich muss es tun. Wie schon gesagt: Außer ihm ist keiner mehr da, mit dem ich reden könnte. Sagen Sie Georges, er soll sich beeilen.“ Mélusine drehte sich wieder zu ihm um, ihre Wangen glühten, trotz ihrer Blässe.
Pierce kämpfte gegen seine aufgewühlten Empfindungen an. Er war hin und her gerissen zwischen Zorn und Enttäuschung, weil Mélusine ihm seine Fragen nicht beantworten wollte – ein Gefühl, das mit Eifersucht verdächtige Ähnlichkeit hatte –, und seinem Bedürfnis, sie zu beschützen und zu trösten. Er ertrug es kaum, den gehetzten, verängstigten Ausdruck in ihren Augen zu sehen.
„Wenn es wirklich so wichtig ist, dass Sie sich mit ihm in Verbindung setzen, werde ich als Ihr Bote auftreten.“
„Nein, das geht nicht“, lehnte sie auf der Stelle ab.
„Ist die Angelegenheit denn so persönlich?“, wollte er wissen.
„Ja. Nein. Wenn ich Sie zu ihm schicken könnte, würde ich es tun. Ich weiß selbst noch nicht, was ich ihm sagen soll. Ich muss ihm in die Augen sehen. Sie kennen ihn nicht, daher würden Sie möglicherweise wichtige Anzeichen nicht wahrnehmen.“
„War er Ihr Geliebter?“
„Nein!“ Sie wich vor ihm zurück.
„Wäre er es gern gewesen?“
„Ich weiß es nicht. Es war nicht seine Idee. Nein, ich glaube, seine Idee war es nicht.“
„ Was war nicht seine Idee?“
„Schreien Sie mich nicht an. Ich muss nachdenken.“ Verstimmt hielt sie sich die Ohren zu.
Pierce atmete tief durch. Er verlor nur selten die Beherrschung über sich oder seine Gefühle. Es verstörte ihn, wie zutiefst betroffen er war, dass Mélusine Geheimnisse in Bezug auf einen anderen Mann hatte, die sie ihm nicht anvertrauen wollte. Er brauchte eine Weile, bis er wieder klar denken konnte, und schließlich erinnerte er sich, dass sie gesagt hatte, sie würde ihn schicken, wenn sie könnte. „Sie sagen mir einfach, worauf ich bei ihm achten soll, dann besuche ich ihn an Ihrer Stelle.“
Mélusine zögerte. Schließlich seufzte sie. „Ich wünschte, Sie könnten das für mich übernehmen. Aber man wird wahrscheinlich eher die Comtesse de Gilocourt zu ihm lassen als ihren Diener. Ich vermute, es wird für ihn ein Schock sein, mich zu sehen. Vielleicht verleitet ihn das ja zu einer Unbesonnenheit.“
„Madame …“
„Ich muss es machen.“ Sie legte ihre Hand auf die von Pierce. „Sehen Sie, ich bin nicht mehr hysterisch, seit mein Entschluss gefasst ist. Wir fahren zur Bastille. Ich rede mit Saint-André …“
„Aber nicht allein“, teilte er ihr bestimmt mit.
Mélusine sah ihn eine Weile an, ehe sie nachgebend den Kopf senkte. „Also gut. Aber Sie dürfen während der Unterredung kein Wort sagen. Hören Sie einfach nur zu und halten Sie die Augen offen.“
Pierce schwieg. Er würde niemals etwas zustimmen, das seiner Handlungsfreiheit Grenzen gesetzt hätte, doch Mélusine schien nicht bemerkt zu haben, dass er ihre Bedingungen nicht akzeptiert hatte.
„Danach, wenn wir wieder zurück sind, fertige ich noch ein paar Zeichnungen von Ihnen an“, verkündete sie mit eher gezwungener Heiterkeit. „Wenn Sie wollen, können Sie auch gern so tun, als schliefen Sie.“
Er lächelte leicht. „Das ist sehr großzügig von Ihnen, Madame. Ehe wir fahren, müssen wir uns jedoch umziehen.“
„Warum?“ Sie machte ein erstauntes Gesicht und sah an sich herab. „Ich bin ja voller Straßenschmutz!“, stellte sie plötzlich verärgert fest.
„Deswegen nicht, das sind nur kleine Spritzer. Aber Saint-Antoine, in dem die Bastille liegt, ist ein Armenviertel, und die Leute dort haben schon mehrfach gezeigt, dass sie gewaltbereit sind. Sie werden wohl weniger ihren Unmut erregen, wenn Sie Ihre Zugehörigkeit zum Adel nicht so deutlich herauskehren“, sagte er grimmig und wartete ab, ob seine Worte auch die gewünschte Wirkung erzielten.
Einen Moment lang spiegelten sich Unsicherheit und Besorgnis auf ihren Zügen wider, doch dann entdeckte er eine neue Entschlossenheit in ihren Augen. „Ich danke Ihnen“, sagte sie. „Ich weiß Ihre Voraussicht zu schätzen. Wir müssen uns beeilen. Bitte schicken Sie Suzanne zu mir.“
8. KAPITEL
Um zur Bastille zu gelangen, brauchten sie die Seine nicht zu überqueren. Pierce saß neben dem Kutscher auf dem Bock, während sie langsam über die Rue Saint-Antoine fuhren. Je mehr sie sich dem Gefängnis näherten, desto beeindruckender wirkte die Festung mit ihren acht Türmen. Seit seiner Ankunft in Paris
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