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Im Dienste der Comtesse

Im Dienste der Comtesse

Titel: Im Dienste der Comtesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: CLAIRE THORNTON
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nachdem sich die Tür geöffnet hatte, schaffte Mélusine es nicht, sich zu bewegen oder gar zu sprechen. Sie wusste, sie musste beides tun. Schließlich war sie gekommen, um Saint-André Fragen zu stellen. Doch alles, was ihr einfiel, war die Situation, als sie ihm das letzte Mal begegnet war, besser gesagt nur seine Stimme gehört hatte. Bei der Erinnerung krampfte sich ihr Magen vor Entsetzen zusammen. Allerdings sah er nicht so aus wie beim letzten Mal. Er trug einen Bart, und sie starrte ihn erstaunt an.
    Der Marquis war nie ein Stutzer gewesen, hatte jedoch stets peinlich genau auf die Etikette und gute Manieren geachtet. In ihrer Gegenwart war er immer ordentlich rasiert und tadellos gekleidet aufgetreten. Er war über einen Meter achtzig groß und hatte breite Schultern. Allein durch seine Größe wäre seine Präsenz in jeder Gesellschaft aufgefallen, doch für gewöhnlich hielt er sich unaufdringlich im Hintergrund. Ein paarmal hatte sie erlebt, dass er sich tatsächlich einmischte, aber meist sprach er mit leiser, freundlicher Stimme. Wodurch alles, was geschehen war, nur noch schockierender gewirkt hatte …
    Er verneigte sich mit vertrauter Anmut vor ihr. Dabei fiel ein Lichtstrahl aus der Luke auf sein hellbraunes Haar, und ein paar Strähnen leuchteten golden auf. „Es ist mir eine Ehre, Comtesse“, sagte er. „Darf ich Ihnen mein zutiefst empfundenes Beileid über den traurigen Verlust Ihres Mannes aussprechen?“
    Das war Saint-Andrés Stimme, aber sie hätte sie nie von diesem bärtigen Mann erwartet. Doch gerade ihre Überraschung über sein Aussehen half ihr über die schockierende Tatsache hinweg, ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen.
    Sie wagte einen Schritt in die Zelle hinein. „Vielen Dank“, gab sie unsicher zurück. „Ich hoffe, es geht Ihnen gut.“
    „Mein Leben verläuft sehr geruhsam“, erwiderte Saint-André. „Ich nutze die Gelegenheit, meine Kenntnisse in griechischer Literatur aufzufrischen.“ Er zeigte auf die Bücher auf dem Tisch, an dem er gesessen hatte.
    Mélusine war, als müsste sie ersticken. Da waren Fragen zu Bertiers Tod, die sie unbedingt stellen musste. Da war auch die Frage, wie Saint-André seine Gefangenschaft ertrug. Und da waren noch einige andere Fragen, die sie niemals würde stellen können, auf die sie jedoch verzweifelt eine Antwort brauchte. Fast während der gesamten Dauer ihrer Ehe hatte sie auf Saint-Andrés Freundschaft vertraut, und sie wünschte sich von Herzen, dass dieses Vertrauen gerechtfertigt war.
    „Es tut mir leid, dass meine Unterkunft so spartanisch ist, aber dieser Stuhl hier ist recht bequem“, sagte er jetzt ruhig. Er rückte ihr die Sitzgelegenheit zurecht und trat ein paar Schritte zurück.
    Mélusine nahm Platz. Obwohl sie sich nicht umdrehte, spürte sie, dass Pierre sich sofort hinter sie stellte. Es war ihr zwar ein wenig peinlich, was er vielleicht zu hören bekommen würde, trotzdem tröstete sie seine Gegenwart. Plötzlich wünschte sie mit ganzer Inbrunst, sie wäre wieder in ihrem Atelier und zeichnete Pierre, anstatt sich in dieser Zelle in der Bastille aufhalten zu müssen. Saint-André sah zwischen ihr und Pierre hin und her, sagte aber nichts. Er setzte sich auf den einzigen verbleibenden Stuhl und lächelte Mélusine an.
    Eilige Schritte ertönten, und der Gouverneur ging hinaus, um eine dringende Nachricht entgegenzunehmen.
    Saint-André blickte zur Tür, und seine Augen wurden schmal. „Comtesse, Ihr Besuch ehrt mich, aber ich muss gestehen, ich wäre glücklicher, wenn ich Sie sicher in Ihrem Haus wähnte.“
    „Was wissen Sie über Bertiers Tod?“, platzte sie auf einmal heraus.
    Sein Blick verschärfte sich. „Man sagte mir, er sei im Bois de Boulogne von Räubern überfallen worden.“
    „Ist das alles?“
    „Ich hatte bereits hier Quartier bezogen, als ich die Mitteilung von seinem Tod erhielt“, gab Saint-André zurück.
    „Und warum sind Sie in der Bastille?“
    Er sah sie eine Weile an, dann zuckte er die Achseln und lachte schicksalsergeben auf. „Comtesse, ich habe keine Ahnung.“
    „Aber das kann doch nicht sein“, rief sie aus.
    „Es ist aber so. Ich saß beim Frühstück und überlegte, ob ich Chaumonts Fuchswallach kaufen sollte – da erschienen Wachen an der Tür mit einem lettre de cachet , dass ich in die Bastille gebracht werden sollte. Und seitdem bin ich hier. Der Gouverneur hat sich äußerst gastfreundlich gezeigt, dennoch wäre ich mehr als glücklich, ihn von

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