Im Dienste der Comtesse
sind“, erwiderte sie schlicht. „Ich weiß nicht, wer oder was Sie sind, aber wenn Sie nicht ein gutes Herz hätten, würden Sie mir nicht sagen, dass Sie mich nicht ausnützen werden.“
„Das ist eine interessante Definition von Ehre.“
„Es ist meine Definition, und ich muss lernen, meinem eigenen Urteilsvermögen zu vertrauen. Ihre Ehre verbietet es Ihnen auch, mir Ihr Geheimnis zu verraten. Würden Sie es tun, wenn Sie könnten?“
Er lächelte etwas zerknirscht. „Mein entehrendstes Geheimnis kennen Sie bereits. Sie sind übrigens die Einzige.“
Sie sah ihn nachdenklich an. „Ihre Ansicht, Sie hätten Ihre Frau niemals heiraten dürfen?“
Er nickte. Er hatte andere Geheimnisse, die viel größeren Schaden anrichten konnten, wenn sie an die Öffentlichkeit gerieten, aber allein die Sache mit Rosalie belastete sein Gewissen.
„Entsprechen all die Dinge, die Sie mir erzählt haben, der Wahrheit? Dass Sie sich mit siebzehn an einen Freibeuter verkauft haben? Und alles andere, was danach kam?“
Er runzelte die Stirn. „Soweit ich mich erinnern kann“, erwiderte er vorsichtig. „Der Mann, an den ich mich veräußert habe, war nicht mehr aktiv als Freibeuter tätig. Aber er besaß mehrere Freibeuterschiffe.“
„Hm.“ Ihr Gesicht nahm einen grüblerischen Ausdruck an, geistesabwesend strich sie mit den Fingerspitzen über die Vorderseite seines Mantels. „Ich glaube, es hat mit Bertiers Tod oder Séraphin zu tun. Oder mit Saint-André. Das sind die einzigen Menschen, für die Sie sich interessiert oder über die Sie gesprochen haben, seit Sie in Frankreich sind. Das würde auch erklären, warum Sie mein Diener werden wollten, obwohl es sicher besser gewesen wäre, wenn Sie sich bei Séraphin um eine Stelle beworben hätten, wenn Sie ihn bereits in Verdacht hatten. Sind Sie ein Agent der Regierung?“
„Nein!“, rief er aus. „Großer Gott, Madame, wie kommen Sie bloß auf so etwas?“
„Kein Grund, gekränkt zu sein“, beschwichtigte sie ihn und strich ihm über die Brust. „Ich habe gehört, dass jeder Dritte in Paris für die Polizei spioniert – und das sind nicht alles ruchlose Bösewichte. Selbst der Chevalier de … Nun, aber das gehört nicht hierher, wenn Sie kein Agent der Regierung sind.“ Sie begann, gedankenverloren mit seinem Halstuch zu spielen. „Ich werde das Gefühl nicht los, dass Sie Saint-André schon früher einmal begegnet sind“, fuhr sie fort. „Ich verstehe nur nicht, wie das sein kann …“ Plötzlich leuchteten ihre Augen auf. „Die Freibeuterei“, rief sie. „Das ist die Verbindung. Sie waren Freibeuter. Saint-André hat uns erzählt, Bertier wurde von einem Freibeuter als Geisel gehalten … Nein, das geht nicht. Sie sind nicht alt genug, um Bertier damals als Geisel genommen zu haben.“ Sie nagte an ihrer Unterlippe und zupfte gereizt an seinem Halstuch.
Pierce war noch nie von einer Frau verhört worden, die, so hatte er den Eindruck, gleichzeitig versuchte, ihn unbewusst zu entkleiden und zu verführen. Vielleicht hatte sie aber auch ganz vergessen, ihm den Kopf verdrehen zu wollen, denn ihr Blick war entrückt vor Verwirrung, nicht vor Leidenschaft.
Sie band das Tuch auf und warf es zur Seite. Die Stirn vor lauter Konzentration immer noch gekräuselt, machte sie sich an den Knöpfen seines Hemdes zu schaffen. Plötzlich hellte sich ihre Miene auf. „Sie haben eine sehr schöne Brust“, stellte sie anerkennend fest und strich mit den Fingern darüber. „Die von Bertier habe ich nur wenige Male gesehen. Er hatte graue Haare. Wie alt sind Sie?“
„Achtundzwanzig“, antwortete er heiser. Wenn er so ehrenhaft war, wie sie behauptete, sollte er ihr jetzt Einhalt gebieten. Aber sie brachte zunehmend seine Willenskraft ins Wanken.
„Das ist ein gutes Alter“, meinte sie lächelnd. „Nichts gegen sechsundvierzig, natürlich, aber …“
„Meine Mutter ist sechsundvierzig“, sagte er, um an etwas anderes zu denken als an Mélusines Finger auf seiner Brust.
„Ihre Mutter?“ Sie hielt inne. Er glaubte, sie würde ihn gleich fragen, was seine Mutter mit den Angelegenheiten zu tun hatte, die er in Frankreich erledigen musste. Sie bemerkte sofort seine innere Anspannung, und Interesse flammte in ihrem Blick auf.
„Genug, Madame.“ Er packte ihr Handgelenk. „Glauben Sie, ich hätte nicht gemerkt, dass Sie mich verführen wollen? Verhält sich so eine sittsame, tugendhafte Frau?“
„Hoffentlich nicht. Sittsam und tugendhaft zu sein,
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