Im Dienste Der Koenigin
Tränen in den Augen und auch Céleste brach beim Gedanken an die armen Teufel in heftiges Weinen aus. Diese Grausamkeit war einfach unvorstellbar!
»Da kann einem ja schlecht werden«, fing sich die Jüngere nach einer Weile wieder; aber Marie war mit ihrer Schilderung noch nicht zu Ende. Sie befeuchtete sich die trockenen Lippen und die ausgedörrte Kehle und erzählte weiter:
»Sprach diese rohe Behandlung allein schon jeder humanen Gesinnung Hohn - es kam noch schlimmer! Ludwig XIII. - er ist in meinem Alter, Céleste! - beobachtete grinsend von seinem Schlossfenster aus die Qualen der Ärmsten und machte
sich überdies einen grausamen Spaß daraus, die schmerzverzerrten Grimassen der elend Krepierenden nachzuäffen. Wir sprechen von demselben Mann, der kurz zuvor Tränen über einen von einem Habicht schwer verletzten Jagdfalken vergossen hatte!«
Lange war es daraufhin still im Gemach der jungen Herzogin. Keines der beiden Mädchen wusste darauf noch irgendetwas zu sagen.
»In den nächsten zwei Wochen sind beide Herren fort von Paris; ihre Anwesenheit in der Normandie ist erforderlich. Ich werde die Zeit dazu nützen, in mich zu gehen und zu überlegen, wie es weitergehen soll«, erklärte Marie nach einer Weile.
»Zerbrich du dir nicht den Kopf darüber, Schwester.« Céleste lächelte altklug. »Das wird schon unser König für dich erledigen! Lass uns lieber Paris erkunden, da hast du mehr davon. Aber jetzt will ich ganz genau hören, wie es war, als der König dich in sein Bett geholt hat.«
»Pah! Dafür bist du noch viel zu jung, Kleine! Davon werde ich dir - vielleicht - erzählen, wenn du etliche Jahre älter bist.«
Marie schien ganz vergessen zu haben, dass sie es andererseits für selbstverständlich hielt, dass das Kind bei ihr im Schlafzimmer übernachtete...
KAPITEL 11
DIE BEIDEN SCHWESTERN hatten trotz des ausgesprochen kühlen und windigen Tages beschlossen, das Herz der Hauptstadt zu durchstreifen - als einfache Dienstmädchen verkleidet und zu ihrem Schutz in Begleitung eines kräftigen Hausknechts.
»Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, wir haben bereits Oktober. Aber es ist wirklich und wahrhaftig erst Ende Juli. Kaum zu glauben!«
Marie schlang sich ein dickes Wolltuch um Kopf und Schultern. Auch ihre Halbschwester hatte sich warm eingepackt. »Von so einem bisschen Wind lassen wir uns aber den Spaß nicht verderben«, rief Céleste und hinkte bereits die Treppe des de Luynes’schen Palais hinunter.
Paris, die absolut chaotische, laute und schmutzige Hauptstadt Frankreichs, kam den jungen Mädchen seltsam unwirklich vor. Ihr eigenartiger Reiz bestand dabei keineswegs nur in der Ansammlung von Palästen des Königs und des höheren Adels sowie in den mit großzügigen Gartenanlagen umgebenen Villen des reichen Bürgertums.
Nein, gerade die elenden, engen und hässlichen Behausungen der ganz »normalen« Pariser machten einen ungeheuren Eindruck auf die beiden - zusammen mit den zahlreichen kleinen und großen öffentlichen Parkanlagen, in denen sich nicht nur der Unrat häufte, sondern wo auch exotische Bäume wuchsen, von denen sie noch nie etwas gehört hatten.
Die engen Gassen und Plätze mit den schäbigen und winzigen Verkaufsständen, die allerlei Tand feilboten, übten ebenfalls eine überwältigende Anziehungskraft aus. Und erst die Garküchen, wo es nach den seltsamsten Gewürzen und Eintöpfen
roch, sowie die aufgerichteten Galgen und die unglaublich vielen Kirchen samt den Bettlerscharen vor den Eingangstüren! All das machte die unbeschreibliche Atmosphäre dieser Stadt aus.
Und natürlich war da die Seine mit ihren teils sandigen, teils mit dichten Weidenbüschen begrünten Ufern und den kleinen, windschiefen Fischerhütten …
Marie und ihre kleine Schwester kamen bei ihren Streifzügen in Begleitung des hünenhaften, zwanzigjährigen Knechts Simon - der sich dicht an Maries Seite hielt und mit Argusaugen über die jungen Damen wachte - gar nicht mehr aus dem Staunen heraus.
Da waren nicht nur die verschiedensten Gebäude, die behäbigen Bürgerhäuser etwa und die Villen und pompösen Paläste des Adels, der riesige Louvre, die Kirchen und zahlreichen Klöster, sondern ebenso die farbenfrohen Märkte der Bauern vom Lande mit ihren bunten Obstpyramiden, die Stände der Barbiere, Wunderheiler, Wahrsagerinnen und Zahnbrecher, die Brücken über die Seine und immer wieder der Fluss selbst, der sich mitten durch die brodelnde Hauptstadt
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