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Im Dienste Der Koenigin

Titel: Im Dienste Der Koenigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Weigand
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Straßenkot verschmierten Rocksaum hinunteräugte. Es war klar, dass vornehme Damen sich nur in einer Sänfte oder einer Kutsche in das Gewühl
der Straßen wagen konnten. Sie hätten sonst riskiert, in Kürze wie Aschenputtel auszusehen und Schmuck und Geld hätten ihnen die zahlreichen Strolche entrissen.
    »Pah! Glaub bloß nicht, dass du besser ausschaust, Kleine«, grinste Marie und deutete auf den verschmutzten Kittel ihrer Schwester. »Nein, natürlich nicht!« Céleste wischte sich die Lachtränen aus dem Gesicht. »Aber mir muss auch keiner Kredit geben und mich mit ›Frau Herzogin‹ titulieren!«
    Erneut prustete die Kleine los und Marie ließ sich anstecken. Dem jungen Simon war’s zuerst etwas peinlich, dann jedoch wurde auch er von der Heiterkeit übermannt. Beinahe hätte er vor Lachen seinen Korb mit dem Obst und den beiden Kätzchen fallen lassen.
    Aber trotz des Drecks, des unglaublichen Gestanks, des unsäglichen Lärms und Tagedieben aller Art war Paris keineswegs ein Ort, den man umgehend zu verlassen wünschte. Nein, die Stadt quoll schier über vor geschäftigem Leben und interessanter Vielfalt - mit keiner anderen Stadt in Frankreich war Paris zu vergleichen.
    Besonders fielen Marie und Céleste die vielen Bettler ins Auge, die hauptsächlich auf den Eingangsstufen der zahlreichen Kirchen Mitleid heischend die absonderlichsten Gebrechen zur Schau stellten.
    Da gab es bedauernswerte Blinde, denen man offenbar die Augen ausgestochen hatte, da waren beinamputierte Kriegsversehrte, die sich - auf Brettchen sitzend - mühsam robbend mit den Händen vorwärtsbewegten, und zahllose weitere arme Teufel, die an abscheulichen, eitrigen Geschwüren im Gesicht sowie an Armen und Beinen litten.
    Zerlumpte Weiber trugen nackte, blau angelaufene Säuglinge an ihrer bloßen Brust. Und das bei dem wirklich eiskalten und scharfen Wind, der die Temperatur auf etwa zehn
Grad hatte sinken lassen. Marie bedauerte längst, keine wollenen Strümpfe angezogen zu haben.
    Die Bettler streckten den Vorübergehenden fordernd ihre schmutzigen Hände entgegen und versuchten, durch jämmerliches Flehen deren Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Marie und Céleste waren entsetzt über diese Ansammlung an Jammergestalten. Sicher, auch daheim in Lothringen hatte es Armut gegeben, aber bei weitem nicht in diesem Ausmaß.
    »So etwas habe ich bisher noch niemals zu Gesicht bekommen! Kann es denn sein, dass sich sämtliche Armen und Versehrten Frankreichs in der Hauptstadt versammeln?«, fragte sich Marie laut. Die junge Herzogin warf einen Seitenblick auf Céleste.
    Auch das kleine Mädchen war blass geworden, als es der Schar der Unglücklichen gewahr wurde. Marie und ihre Schwester kamen gar nicht mehr nach mit dem Almosengeben, bis Simon ihnen zuflüsterte, dass von diesen Bettlern nur ein Teil wirklich arm sei und ihr Mitleid verdiene, es sich bei den meisten aber um arbeitsscheue, ganz üble Gauner handle, die durch vorgetäuschte Verletzungen und Krankheiten die gutherzigen Passanten um ihr Geld betrügen würden.
    Nachdem der gewitzte Knecht seine Herrinnen ein kleines Stück von der Kirchentreppe weggezogen hatte, erklärte er den beiden barmherzigen Samariterinnen auch, auf welche Weise es diese Strolche schafften, sich in wahre Elendsgestalten zu verwandeln.
    »Sie greifen zu Schminke, Lampenruß und Teigklumpen, um sich Wunden, Schorf und Krätze auf Kopf und Arme zu zaubern. Wenn sie dann den mitleidigen Seelen genug Geld abgegaunert haben, klemmen sie sich ihre Krücken unter den Arm und springen munter in ihre Schlupfwinkel zurück, wo sie sich säubern und anschließend ihr Almosen verprassen.«

    »Hm, ich weiß nicht«, meinte Marie zögerlich und auch Céleste blickte skeptisch drein. »Man kann sicher allerlei durch geschickte Manipulationen zustande bringen. Aber dieses blau gefrorene bébé der jungen Zigeunerin dort, das kann doch kein Betrug sein, oder?«
    Der Knecht aber grinste. »Geht nur näher an das raffinierte Weibsbild heran und beugt Euch über das Kleine. Der Duft, der Euch dann in die Nase steigt, wird Euch schon verraten, was es mit diesem Balg auf sich hat! Spätestens morgen wird die Gaunerin mit einer anderen Kinderleiche hier sitzen, weil die alte dann doch zu sehr stinkt und der Betrug auffliegen würde.«
    Marie musste unwillkürlich würgen und auch Céleste wurde kreidebleich. Rasch liefen die drei weiter - es gab noch so viel anderes zu bestaunen, als ausgerechnet verwesende

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