Im Dreieck des Drachen
steckte sie sich dann mit dem Griff in den Mund und legte sich flach auf den Bauch.
»Willst du das wirklich tun?«
Zur Antwort schlängelte sich Karen Kopf voran in das Loch. Die Taschenlampe warf ihren Schein auf den Boden vor ihr. Sie suchte mit den Fingern nach Unebenheiten im Fels, mithilfe deren sie sich voranziehen konnte. Zumeist jedoch schob sie sich mit den Zehen Zentimeter um Zentimeter in den Kriechgang hinein, wobei sie bewusst die dicken Steinplatten ignorierte, die über ihr hingen. Sie war schon früher in enge Höhlen gekrochen, jedoch niemals in derart enge. Sie atmete weiterhin ruhig und regelmäßig und sagte sich immer wieder, sie müsse bloß in Bewegung bleiben, niemals innehalten.
»Deine Füße sind jetzt drin!«, rief ihr Miyuki zu.
Die Stimme ihrer Freundin klang gedämpft. Karen rutschte geschmeidig durch den Tunnel. Da ihr die Mauern gegen die Brust drückten, fiel ihr das Atmen schwer. Sie verspürte einen Anflug von Panik, konnte ihn jedoch unterdrücken. Sie atmete schneller, flacher. Nein, sie würde nicht ersticken.
Und weiter ging es. Falls sie stecken bleiben sollte, könnte sie sich immer noch mit den Händen zurückschieben. Und Miyuki an ihren Knöcheln ziehen. Es war nicht wirklich gefährlich. Dennoch wurde ihr Mund trocken und klebrig, als ihre Zehen auf dem feuchten Stein ins Rutschen kamen.
»Wie geht’s voran?«
Karen öffnete den Mund zu einer Antwort, aber da ging ihr auf, dass sie nicht genug Luft hatte, um ihrer Freundin etwas zuzurufen. »Mir geht’s gut.« Die Worte bahnten sich keuchend und flüsternd ihren Weg um die Taschenlampe herum, die sie zwischen die Zähne geklemmt hatte.
»Was hast du gesagt?«
Karen streckte den Arm aus. Mit den Fingern der rechten Hand erreichte sie gerade eben den Rand der Steinplatte. So nahe war das Ende des Gangs! Sie schloss die Hand und zog, schob gleichzeitig mit den Zehen nach und warf sich nach vorn. Mittlerweile hämmerte ihr Pulsschlag laut in den Ohren. Die Kieferknochen taten ihr weh, weil sie so fest auf die metallische Taschenlampe biss. »Komm schon, verdammt!«, fluchte sie atemlos.
Sie tastete mit der linken Hand, bis sie auch damit einen Halt fand. Grinsend schob sie sich mühsam vor und tauchte schließlich mit dem Kopf aus dem Tunnel auf. Sie hielt inne, reckte den Hals und ließ den Strahl der Lampe hin und her gleiten.
Vor sich hatte sie einen engen Raum, der kaum größer als ein halbes Bad war. Was jedoch ihren Blick auf sich zog, war etwas auf der anderen Seite, das wie ein Altar aussah. Muschelbedeckte Urnen und Tonscherben, überzogen mit einer Schicht Algen, waren über den Fußboden verstreut. Um den Rand des Altars wand sich eine geschnitzte Schlange. Karen folgte dem Körper mit der Taschenlampe, bis sie die Nase erreichte. Eine Haube aus steinernen Federn rahmte den fängenbewehrten Kopf ein. Die Augen, rote Steine, reflektierten das Licht. Sehr wahrscheinlich Rubine.
Sie ließ die Steine Steine sein und bewegte die Lampe weiter. Die Federn waren wesentlich aufregender. Sie erinnerten an Quetzalcoatl, den gefiederten Schlangengott der Maya. Könnte dies ein Hinweis darauf sein, dass die Maya diese Stadt erbaut hatten?
Sie spuckte die Lampe aus und benutzte die Arme als Hebel, um sich aus dem feuchten Loch herauszuwinden. Dann hob sie die Taschenlampe wieder auf und drehte sich zum Eingang um. Miyuki sollte sich das ansehen.
Karen beugte sich zu der Öffnung herab. Da ertönte ein Schuss.
Ein peitschender Knall tönte durch den kleinen Raum, gefolgt vom einem entsetzten Aufschrei.
Karen ließ sich auf die Knie fallen und versuchte, durch den Tunnel zu spähen. »Miyuki!«
6
ERFORSCHUNG DER TIEFEN
26. Juli, 11.20 Uhr
Absturzstelle, nordwestlich des Enewak-Atolls,
Zentralpazifisches Becken
ZUM ERSTEN MAL seit über zwölf Jahren setzte Jack wieder einen Fuß an Bord eines Kriegsschiffs der Vereinigten Staaten – und es war kein kleiner Schlepper. Er stieg aus dem Sea-Knight-Helikopter und betrat ein fast viertausend Quadratmeter großes offenes Flugdeck. Die USS Gibral tar war so lang wie zwei Fußballfelder und ein halbes Feld breit, ein monströses Untier, das von zwei Maschinen angetrieben wurde. Links und rechts neben ihm waren riesige Zahlen aufgemalt – Landeplätze für bis zu neun Luftfahrzeuge.
Mit eingezogenem Kopf entfernte er sich rasch vom Hubschrauber. Das Getöse der Rotoren war ohrenbetäubend. Als er den Helikopter hinter sich gelassen hatte, wäre er fast über
Weitere Kostenlose Bücher