Im Dunkel der Schuld
konnte statt direkt im Stadtgebiet Karlsruhe genauso gut im Umland ansässig sein. Tom hätte ihr wirklich ein wenig mehr über sich erzählen können.
Frau Hilpert begann zu flüstern, und alarmiert spitzte Ebba die Ohren.
»Ja, sie ist da«, hörte sie. »Okay, in einer halben Stunde. Ich sage ihr, ich müsse zur Post.«
Ebba schwante, mit wem ihre Assistentin sprach. Langsam stand sie auf und ging zu deren Schreibtisch. Frau Hilpert wurde rot und legte auf.
»Er will etwas richtigstellen, Frau Seidel. Nur fünf Minuten.«
»Pfeifen Sie ihn zurück. Ich will ihn nicht treffen.«
Frau Hilperts Mund klappte zu, sie verwandelte sich wieder in die korrekte Geschäftsfrau.
»Natürlich, Chefin«, sagte sie steif und tippte die Nummer ins Telefon.
Ebba trat vor die Tür und holte tief Luft.
Es wurde langsam dunkel, über ihr hing der Mond als bleiche Sichel, eine Amsel sang, als sei es bereits Frühling. Ebba verschränkte die Arme. Es war so kalt!
Die Türglocke ging hinter ihr. Frau Hilpert gesellte sich zu ihr und räusperte sich verlegen.
»Ich wollte nicht unloyal sein«, sagte sie leise. »Jörg hat versprochen, heute nicht mehr zu kommen. Aber er bittet Sie inständig, sich nicht mit Herrn Flemming zu treffen, ehe Sie nicht alles gehört haben.«
»Tom holt mich nachher ab. Ich hoffe, Sie haben ihm nicht auch das auf die Nase gebunden.«
»Selbstverständlich nicht. Werden Sie morgen pünktlich hier sein können? Ich würde gern erst um 13 Uhr anfangen.«
»Sie können morgen auch ganz freinehmen. Das ist kein Problem«, erwiderte Ebba, obwohl es sehr wohl eines war. Sie traute Jörg nicht. Was, wenn er trotz seines Versprechens kam?
Kurz nachdem Frau Hilpert Feierabend gemacht hatte, holte Tom sie ab. Er hatte seinen Wagen weiter entfernt geparkt.
»Hey«, sagte er und lachte beim Anblick ihrer Reisetasche leise. »Das ist ja eine Ãberraschung!« Mit einem Schwung verstaute er das Gepäck auf dem Rücksitz.
»Versteh das bitte nicht falsch. Ich möchte nur heute nicht allein in der Wohnung sein. Ich gehe auch in ein Hotel. Ich habe vorhin vergeblich versucht, deine Firmennummer ausfindig zu machen, denn ich hätte dich gern gefragt, ob du ein Gästezimmer hast. Vielleicht könntest du mir deine Nummer wenigstens für Notfälle verraten.«
Tom pfiff zu einer Melodie im Autoradio. »Selbstverständlich. Es war blöde von mir, das gebe ich zu. Ich weià ja, dass du mich nicht jede Stunde anrufen wirst.«
Dann brauste er los. Ebba prüfte mehrfach den Sitz des Sicherheitsgurtes und klammerte sich an den Haltegriff. Sie gab selbst gern Gas, aber Tom fuhr geradezu rücksichtslos. Das kannte sie gar nicht von ihm! Eigentlich hatte sie ihm schon im Auto von Jörg erzählen wollen, nun aber biss sie sich auf die Zunge und versuchte, sich abzulenken, was ihr jedoch nicht gelang. Mehr als einmal bremste sie unwillkürlich mit, was Tom nur mit einem spöttischen Seitenblick quittierte. Die Fahrt nach Karlsruhe und die geplante Ãbernachtung erschienen ihr plötzlich als ausgemachte Schnapsidee, und sie überlegte, wie sie das Programm noch ändern konnte, ohne dass es peinlich wurde. Sie wollte ihn nicht beleidigen, aber sie fühlte sich in seiner Gegenwart plötzlich unwohl. Sicher hatte das mit ihrer Begegnung mit Jörg zu tun oder mit diesem schrecklichen Datum oder mit der Höllenfahrt, die alle Nerven bei ihr bloÃlegte.
Endlich hatten sie Karlsruhe erreicht, und Tom wurde zwangsläufig langsamer. Ebba sah sich skeptisch um. Das Institut lag also doch in der Innenstadt? Komisch, dass sie es nicht gefunden hatte.
Abendruh stand auf dem Messingschild, das sie schlieÃlich an einer Hofeinfahrt zwischen einem Wäscheladen, der mit besonders günstigen Spitzen-BHs warb, und einem Delikatessengeschäft, das Ziegenfrischkäse und Edelsalami im Angebot hatte, entdeckte. Abendruh? Aber dort hatte sie vorhin angerufen, und niemand hatte Toms Namen gekannt. Doch bevor sie nachhaken konnte, lenkte Toms Fahrstil sie ab. Sie fürchtete, sein Auto würde in der engen Einfahrt hängen bleiben, aber er preschte forsch hindurch und parkte in einem tristen Innenhof, der von der Rückseite der Einkaufszeile, einer hohen Brandschutzmauer links, einem groÃen Hinterhaus aus den 1950er- oder 1960er-Jahren, in dem der Betrieb untergebracht
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