Im Dunkel der Schuld
ihr breit. Aber sie musste dagegen ankämpfen, etwas sagen. Irgendetwas. Nur so konnte sie überleben.
»M-mmmmmörrâ¦Â« Mehr schaffte sie nicht.
»Na, na, Ebba, sag das nicht zu mir. Du willst doch, dass ich dir noch einen Schluck gebe, oder? Oder?«
»Ja!«
»Sag mir, was geschehen ist. Ich will es aus deinem Mund hören.«
Er drehte sich um und füllte die Tasse auf, aufreizend langsam. Ebba sah ihm zu. Sie konnte nicht anders, als die Tasse anzustarren. Sie wollte, dass er sie ihr zum Mund führte. Wasser! Bitte, bitte!
Stopp! Gleich würde sie durchdrehen, und er hätte gewonnen. Sie musste sich zusammennehmen. Wenn er die Wahrheit wissen wollte â warum nicht? Sie hatte nichts zu verlieren. Er würde sie so oder so umbringen. Wenn sie es hinauszögerte, wurde es umso qualvoller.
Oder gab es einen Ausweg? Einen winzigen? Wenn er nicht auf ihr Schauspiel vom Totstellen hereinfiel, dann vielleicht auf das Gegenteil? SchlieÃlich hatte er Arzt werden wollen, helfen wollen, wenn jemand Schmerzen hatte oder in Not war.
Rosie hatte früher einmal vor lauter Panik zu schnell und zu tief geatmet und war in eine bedrohlich wirkende Situation geraten. Vielleicht funktionierte das auch bei ihr. Wenn Thomas sie dann losband, würde sie sich schon zu wehren wissen.
Tief atmete sie ein und aus, immer heftiger, kürzer, oberflächlicher. Durch die Brust. Schneller. Schneller! Irgendwann steckte ihr Atem fest, sie gähnte, seufzte, begann zu husten, konnte nicht mehr aufhören zu husten, zu röcheln â¦
Thomas lieà die Tasse fallen, seine Augen wurden groÃ.
Ein Kribbeln erfasste ihre Lippen, es fühlte sich an, als wölbten sie sich von allein nach vorne, gleichzeitig verkrampften sich ihre Finger, wurden zu Klauen. Unkontrolliertes Zittern erfasste ihren Körper. Panik stieg in ihr auf. Sie konnte nicht mehr aufhören zu hecheln und gleichzeitig zu husten. Sie konnte nicht mehr umkehren. Ihre Atmung hatte sich verselbständigt.
Und Thomas war nicht mehr zu sehen.
Da war er wieder.
»Einatmen â ausatmen!« schrie er, ständig wiederholte er die Kommandos, denen sie nicht folgte, nicht folgen wollte, nicht folgen konnte. Ihr wurde schwindelig.
»Ebba, Ebba!«, rief er, dann begann er, an ihren Händen herumzunesteln, der Druck an ihrem Kopf löste sich, dann an den FüÃen.
Er beugte sich über sie, schüttelte sie.
Ja! Genau das hatte sie gewollt! Jetzt zupacken, Hebelgriff, Kopfnuss ⦠Wenn sie nur atmen könnte.
Nein! O nein! Eine Spritze in seiner Hand. Nicht schon wieder. Bitte nicht. Biâ¦
Als sie aufwachte, war ihr kalt, der Kopf dröhnte, ihr war übel. Diesmal erinnerte sie sich sofort. Wie lange war sie bewusstlos gewesen?
Thomas beugte sich über sie.
Richtig!
Hebelgriff! Kopfnuss â¦
Aber nichts ging. Sie war wieder gefesselt wie zuvor. Aus. Verloren.
Ihre Muskeln gehorchten ihr nicht mehr. Es war demütigend, so vor ihm zu liegen. Er sah sie lange an, dann strich er ihr über die Haare.
»Wer hat dir gesagt, dass du hyperventilieren sollst? Das ist gefährlich. Du hast Angst, du denkst, ich lass dich hier in der Kiste verhungern und verdursten, nicht wahr? Ts, ts. WeiÃt du, dass man in diesem Fall nicht bei vollem Bewusstsein stirbt? Den Gefallen tue ich dir nicht. Du wirst bei deiner eigenen Beerdigung sterben. Ich werde dich nach einer langen, qualvollen Zeit herrichten, dir ein schönes Hemd anziehen, dich auf ein hübsches Spitzenkissen legen, die passende leichte Decke über dich legen, ich werde den gleichen Blumenschmuck nehmen, der auf allen Beerdigungen deiner Familie bestellt wurde, du wirst dieselben Lieder hören, aber danach wirst du hinüber ins Krematorium gebracht.«
Ins Krematorium? Ihr Herz machte einen Satz, und sie schloss schnell die Augen, damit er nicht mitbekam, wie erleichtert sie war. Das Krematorium war ihre Chance! Niemand wurde ohne zweite objektive, ärztliche Leichenschau ins Feuer geschoben, das hatte sie kürzlich in einem Zeitungsartikel gelesen. Das war in Baden-Württemberg Vorschrift. Der Mediziner würde nach sicheren Anzeichen suchen, dass sie tot war. Bloà weil sie nicht atmete oder sich nicht bewegte, würde er sie nicht einfach für tot erklären.
Thomas lächelte wieder. »Oh, Ebba, ich weià genau, was du denkst! Aber ich muss dich enttäuschen. Natürlich habe ich die
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