Im Dunkel der Schuld
gehorchte ihr nicht.
Thomas war unberechenbar. Sie durfte ihm nicht die Wahr heit sagen. Ihre Mutter hatte bestimmt nicht alles verraten.
»Nichts geschehen? Er ist mitten in der Nacht frontal in einen anderen Wagen gerast. Ohne Bremsspur.«
»Weià nicht.«
»Aber ich. Du warst es! Georg hätte sich doch in die Hose gemacht vor Angst. Deine Mutter konnte nie etwas entscheiden, sie hat wahrscheinlich nur für das Seelenheil eures Vaters gebetet. Und Rosie hätte tausend Gründe gefunden, damit er nicht fährt. Es bleibst nur du!«
Ebba stierte auf die leere Tasse, die über ihr schwebte, als wolle er sie gleich fallen lassen. Ein Tropfen hing noch am Auslass, bereit, auf ihre Lippen zu fallen. Sie sagte nichts. Wenn sie ihm gestand, wie es geschehen war, war er am Ziel. Dann würde er den Deckel schlieÃen und sie sterben lassen.
»Was hast du gesagt oder getan, damit er sich hinters Steuer setzte? Die Pulle lag noch auf dem Beifahrersitz.«
Sie musste das Thema wechseln. »Was mit G-Georg?«, krächzte sie.
»Wie ich Georg umgebracht habe? Das hat er schon selbst getan, mit seinem peniblen Perfektionismus. Er musste ja dem Aufzugmonteur helfen, der brave Junge. Ausgerechnet da gingen die Türen zu, und niemand kam zu Hilfe. Stundenlang nicht. Ich hätte ihn gern sehr lange rufen hören, schreien, weinen, am Metall kratzen, aber er wurde leider viel zu schnell still.«
»U-unv-vorher?«
»Die Sabotage? Ich hatte ja Zeit. Wenn man ihn beobachtete, wusste man schnell, wie man ihn quälen konnte. Es hat Spaà gemacht. Ich habe seine Frau als Putzfrau angeheuert, da kam ich leicht an den Hausschlüssel. Der Rest war ein Kinderspiel. Licht an, Rollladen hoch, Tür auf, Sicherung aus, Wasser laufen lassen, Heizung abdrehen. Und dann vorm Haus stehen und beobachten, wie er langsam durchdreht. Zum Schluss hat er sogar seine Frau angebrüllt und geschlagen. Ganz der Vater, der er nie hatte sein wollen, nicht wahr?«
»Sadist!«
»Meinst du mich? Ich habe es euch nur heimgezahlt. Kannst du dir vorstellen, was ich all die Jahre durchgemacht habe? Bei jedem Toten, den ich versorgen musste, habe ich an euch gedacht. Leider konnte ich nicht sofort handeln. Erst als Kathrin einigermaÃen gesund war und ihre Ausbildung hinter sich hatte, um den Laden zu übernehmen, hatte ich Zeit für euch. War aber gleichgültig. Ihr konntet mir nicht entkommen. Habt es euch ja fein gemütlich gemacht mit seinem Geld. Ich brauchte mich dann nur bei jedem von euch einzuschleichen.«
»Mama K-Krankenhaus.«
»Genau. Jeden Abend kam der angebliche neue Physiotherapeut der Klinik mit seinem für AuÃenstehende unauffälligen offiziellen Arbeitskittel in ihr Zimmer, kontrollierte den Tropf und redete mit ihr. Es ging ihr eigentlich jeden Tag etwas besser, die Ãrzte wundern sich wahrscheinlich heute noch, warum es immer wieder über Nacht bergab ging. Fragst du dich, wie ich mich zuvor in ihr Vertrauen geschlichen habe? Es war so einfach: Ich war der neue, nette, angebliche Heilpraktiker aus ihrer Nachbarschaft, den sie â natürlich ganz zufällig â auf dem Weg von der Kirche nach Hause kennengelernt hatte und der für sie da gewesen war, als diese furchtbaren Sachen mit dem Betkreis passierten. Nie im Leben wäre sie darauf gekommen, dass ich bei den Müslis und Backmischungen nachgeholfen hatte. Sie vertraute einem ja blind, wenn man nur mit ihr betete. Erst im Krankenbett merkte sie, was wirklich los war, aber da konnte sie sich nicht mehr wehren, genauso wenig wie du jetzt. Sie musste mir zuhören. Alle Einzelheiten: wie ich Georg gequält hatte, was ich für Rosie vorgesehen hatte und was für dich. Ich glaube, sie war zum Schluss richtig froh, als ich es beendete. Ein Zucken, und es war aus. Der perfekte Mord, wie du ja selbst erfahren hast. Da konnten sich Polizei, Staatsanwaltschaft und Rechtsmedizin noch so bemühen. Sie fanden nichts. Kaliumchlorid im Tropf â das ist nicht nachweisbar. Es war also offiziell das Herz, angegriffen durch die Lungenentzündung, die sich ach so plötzlich in der Klinik entwickelte ⦠Tja, so war das.«
Ebba begann zu zittern. Sie wusste, dass sie etwas fragen oder sagen musste, damit er nicht wegging, aber ihr fiel nichts ein. Sie war vor Entsetzen wie gelähmt. Ihr Körper gehorchte ihr genauso wenig wie ihr Kopf. Eine groÃe Leere machte sich in
Weitere Kostenlose Bücher