Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Dunkel der Schuld

Im Dunkel der Schuld

Titel: Im Dunkel der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Hampp
Vom Netzwerk:
allein entscheiden wollen, immer hatte sie versucht, es Ebba recht zu machen. Das konnte auf Dauer sehr anstrengend sein.
    Selbst als sie kurz in der Wohnung der Mutter in Freiburg gewesen waren, damit Rosie aussuchte, welche Erinnerungsstücke sie behalten wollte, hatte es einen regelrechten Kampf gegeben, bis sie ein paar handbestickte Tischdecken und das Familiensilber ausgewählt hatte. Es war erst möglich gewesen, nachdem Ebba ganz energisch kundgetan hatte, dass sie außer den Aktenordnern alles wegwerfen beziehungsweise der Diakonie oder einer anderen sozialen Einrichtung schenken würde. Leider war nicht genug Zeit gewesen, die Sachen sofort auszusortieren. Das würde sie übers Wochenende erledigen. Es war Fasching und die Galerie nicht nur am Montag, sondern auch am Dienstag geschlossen. Das müsste reichen, um die Habseligkeiten ihrer Mutter durchzusehen, für Rosie zwei Kisten zu packen und zur Post zu bringen und einen Entrümplungsdienst kommen zu lassen.
    Jetzt musste sie sich beeilen, um Frau Hilpert in der Galerie abzulösen. Wollte heute nicht auch die interessante Künstlerin vorbeikommen, die mit leichtem Strich diese sensationellen Bilder von Meer und Bäumen zeichnete, die wie echte Fotografien aussahen, ohne ein Abklatsch Gerhard Richters zu sein? Ebba hatte sich zwar vorgenommen, nur etablierte Künstler auszustellen und auf keinen Fall Unbekannte oder gar Hobbymaler aus der Region unter ihre Fittiche zu nehmen. Aber hier würde sie vielleicht eine Ausnahme machen, falls die Bilder im Original auch nur annähernd so fantastisch waren, wie sie auf den Fotos aussahen, die die Künstlerin ihr gemailt hatte.
    Ebba merkte, wie ihre Energie beim Gedanken an die Arbeit zurückkehrte. Sie war froh, dass Jörg noch einmal nach Hamburg gereist war, um für eine Reportage an der Ostsee Schnee- und Eisschollenbilder zu schießen. So konnte sie ungestört die Arbeit nachholen, die seit dem Tod ihrer Mutter liegen geblieben war.
    Als sie wenig später die Galerie betrat, atmete sie tief durch. Hier in dieser stillen, hohen Halle mit den Bildern und Grafiken war ihr wahres Zuhause. Auch wenn die Umstände alles andere als schön gewesen waren, empfand sie ihrem Vater gegenüber in Augenblicken wie diesem unendliche Dankbarkeit, dass er sie früh und gründlich in die Welt der Malerei eingeführt hatte. Als Balletttänzerin, wie sie es sich als Kind einmal in den Kopf gesetzt hatte, hätte sie es nicht weit gebracht, heute wäre sie wahrscheinlich körperlich verbraucht und in einer noch schlechteren Verfassung als Rosie. Dank Bruno Seidels wilder, grausamer Sturheit hatte sie eine Heimat gefunden, die bisher alle Stürme überstanden hatte und auch in Zukunft überstehen würde. Alles war gut und richtig. Wenn nur dieses Brausen nicht wäre, das sich von ganz tief unten anschlich.
    Ebba konzentrierte sich auf die Geräusche, die hinten aus der Teeküche kamen, in der Frau Hilpert rumorte, und stellte als Nächstes mit einer kontrollierten Bewegung ihre Tasche neben den Schreibtisch. Es half nichts. Es war schon da. Es biss sich in ihrer Kehle fest, schüttelte sie, stülpte ihre Eingeweide um. Sie roch wieder Terpentin, Ölfarbe, Schnaps atem, Zigarettenqualm, hörte schmerzhaft schrille Jazztöne, die ihr Gänsehaut verursachten, spürte seine dicken Finger, die sich in ihren Oberarm bohrten, weil ihr Pinselstrich wieder falsch gewesen war, sah die Enttäuschung und abgrundtiefe Verachtung in seinen Augen, weil sie niemals eine Malerin werden würde wie er, sie spürte die Scham und die Ohnmacht und die Angst vor der nun wieder drohenden Schwärze, als sei sie ihm immer noch ausgeliefert.
    Schemenhaft nahm sie Frau Hilpert wahr, die auf sie zukam und etwas sagte, das sie nicht hören konnte.
    Sie musste sich zusammenreißen. Niemand sollte merken, was mit ihr los war.
    Â»W-was?«
    Â»Ihre Haare!«
    Etwas in ihr weigerte sich zurückzukehren. Sie war gefangen, stand in ihrer Galerie und zugleich in dem verhassten Atelier wie in einer Zeitschleife.
    Â»Alles in Ordnung mit Ihnen?« Frau Hilpert wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht.
    Ebba blinzelte und setzte sich schnell, damit ihre Assistentin nicht mitbekam, dass ihr die Knie zitterten.
    Â»Ich …«
    Â»Sie sind ganz blass. Soll ich noch bleiben? Wollen Sie heimfahren, sich hinlegen?«
    Â»Nicht nötig«, wehrte Ebba ab.

Weitere Kostenlose Bücher