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Im Dunkel der Schuld

Im Dunkel der Schuld

Titel: Im Dunkel der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Hampp
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hielt sie sich selten auf den Beinen, und heute machte sich die Anspannung der letzten Tage bemerkbar. Sie deutete auf ihre Armbanduhr, machte das verabredete Zeichen, und ihre Assistentin schaffte es, innerhalb der nächsten halben Stunde fast alle Gäste dezent zu überreden, nun an den Heimweg zu denken.
    Es gelang nicht bei allen.
    Â»Kommen Sie, Frau Seidel, einen letzten Absacker!«, schlug Monsieur Leblanc vor, der eigens aus Straßburg herübergekommen war. Es war ihm anzumerken, dass er sich zu der zierlichen Künstlerin mit den rappelkurzen, pechschwarzen Haaren und der grasgrünen Tunika hingezogen fühlte, die ihrerseits mit geröteten Wangen an seinen Lippen hing. Ebba beobachtete diese Entwicklung mit Unbehagen. Sie wollte Corinna groß herausbringen und den Erfolg mit ihr teilen, also durfte sie auf keinen Fall zulassen, dass dieses Mädchen mit dem erstbesten Kunden davonlief und womöglich nie mehr malen würde. Dass die junge Frau eine große Zukunft vor sich hatte, daran bestand seit heute Abend kein Zweifel mehr. Selbst das sonst so kritische deutsch-amerikanische Sammlerehepaar Bender und die sagenhaft reiche Witwe Boltowa aus St. Petersburg hatten begeistert gestikulierend vor den Bildern gestanden.
    Michael Maurer, ihr vertrauter Kunstagent, trat neben sie.
    Â»Gut gelaufen«, sagte er leise. »Wann öffnen Sie übrigens mal wieder Ihre geheime Schatztruhe? Ich hätte einige extrem interessierte internationale Sammler an der Hand, die Ihnen alles zahlen würden – na ja, fast alles.«
    Er war der Einzige hier, der je einen Blick hinter die Stahltüren in der Galerie hatte werfen dürfen, und nun bereute Ebba es. Allein die Erwähnung bohrte kleine Wunden unter ihre Schädeldecke.
    Â»Niemals«, japste sie und stürzte ihr halb volles Glas hinunter. »Jedenfalls nicht auf absehbare Zeit.«
    Maurer lächelte fein und nickte. Ein angenehmer Mensch, an die fünfzig, sportlich, drahtig, ohne einen Ring am Finger, immer unterwegs und wahrscheinlich genau der Richtige, wenn man sich unverbindlich ablenken und belohnen wollte.
    Wie so oft machte er ihr Komplimente, bot ihr an, sie nach Hause zu fahren und noch einen Kaffee bei ihr zu trinken, ohne Hintergedanken, einfach so.
    Manchmal hatte sie nachgegeben, ohne dass je mehr passiert war. Er war ein Gentleman, der plumpe Annäherungen nicht nötig hatte. Aber heute sehnte sie sich danach, allein zu sein, und war froh, als sie die Galerie endlich abschließen konnte. Es tat gut, ein paar Schritte zu laufen und die Gedanken zu sortieren, die wieder zu Jörg wanderten. Ja, das Treffen hatte ihr zugesetzt. Sie hatte damals einen Fehler gemacht – und einen noch größeren draufgesetzt, weil sie nicht wenigstens am nächsten Tag zu ihm gegangen war, um sich zu versöhnen. Oder es zumindest zu versuchen. Jetzt war es zu spät, denn er hatte eine andere, wie er ihr zum Abschied andeutete. Das musste sie akzeptieren, so weh es auf einmal auch tat.
    Bis Weihnachten hatte sich ihre Stimmung zum Glück gebessert. Heiligabend fiel dieses Jahr auf einen Freitag, man konnte sich also einbilden, es sei ein ganz normales Wochenende. Ebba wollte, so gut es bei all dem Konsumterror überhaupt möglich war, das Fest der Liebe und Familie ignorieren.
    Zwei freie Tage waren genau das Richtige nach dem Stress der letzten Wochen, in denen es in ihrer Galerie zugegangen war wie im Taubenschlag. Bis auf einen Sonnenuntergang hatte sie alle Gemälde ihrer jungen Künstlerin verkauft, hatte für andere Kunden durch halb Europa telefoniert, um pünktlich zum Fest eine Lithografie von Chagall und eine Prillwitzer Skulptur von Daniel Spoerri aufzutreiben, und hatte noch dazu die letzte Weihnachtswoche auf Frau Hilpert verzichten müssen, weil sie ausgerechnet jetzt mit ihrem bärigen Urgestein eine dreiwöchige Motorradtour durch Südamerika unternehmen wollte.
    Ebba war allerdings auch erleichtert gewesen, so viel zu tun zu haben, denn plötzlich war Jörg in jeder Zeitung und Zeitschrift präsent. Hier ein Winterbild, dort eine Hotelvorstellung, da eine Fotoreportage über einen Imker auf einem Truppenübungsplatz. Foto: Jörg Benkhofer – über diese Zeile stolperte sie fast jeden Morgen. Er schien sich hauptsächlich in Norddeutschland aufzuhalten, weit entfernt von ihr. Die Wahrscheinlichkeit, sich zufällig in Baden-Baden über den Weg zu

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