Im Dunkel der Schuld
sinken, ohne das Gespräch zu beenden. »Warte doch, gleich bin ich wieder â¦Â«
»Nein, das wirst du nie sein«, flüsterte er. »Das habe ich gerade erkannt. Ich habe mich getäuscht. Du willst es nicht. Immer willst du die Starke, Unabhängige bleiben, weil du meinst, dass du dann nicht verletzt werden kannst. So funktioniert das in der Liebe nicht. Du verletzt mich damit. Und das will ich nicht, nicht mehr. Ich liebe dich, aber es geht nicht mit uns beiden.«
Er beugte sich über sie, und ein letztes Mal roch sie seinen typisch männlichen, frischen Duft, dann winkte er ihr resigniert zu, schulterte seine schwere Fotoausrüstung und verlieà sie.
Als sie nach einer endlosen Zeit der Starre und Leere zu sich kam, merkte sie, dass sich ihre Finger immer noch um den Hörer in ihrem Schoà krampften.
»Rosie?«, flüsterte sie. Aber ihre Schwester hatte längst aufgelegt.
Neunzehn
Dezember 2010
Acht rote Punkte. Das waren acht verkaufte Bilder am ersten Abend. Zufrieden hob Ebba ihr Glas und bahnte sich einen Weg durch die Gästeschar, die sich am Ende der Vernissage immer noch in ihrer Galerie drängte. Eigentlich waren es ihr viel zu viele Menschen. Sie nahmen ihr die Luft zum Atmen, lieÃen ihr keinen Raum auszuweichen, kamen ihr viel zu nahe. Doch das musste sie als Gastgeberin aushalten. Es war der Preis für den Erfolg.
Und die Weihnachtsausstellung schien ein Riesenerfolg zu werden.
Der Kunstexperte aus Stuttgart, der die einleitenden Worte gesprochen hatte, hatte alle mit seiner Begeisterung für die sensationelle Entdeckung, den Shooting-Star Baden-Badens, angesteckt. Wie recht er mit seinem Enthusiasmus hatte! Ebba konnte sich an den Bildern gar nicht sattsehen.
Die Künstlerin arbeitete mit einem intensiven Blau, das ultimativ wie das von Yves Klein war und sich fast schmerzhaft von den Sonnenuntergängen, dem grünblauen Meer und dem hellen Sand abhob, in dem jeder einzelne Stein so plastisch zu sehen war, dass man unwillkürlich die Hand ausstreckte, um ihn aufzuheben.
Trotzdem waren die Bilder keine kitschigen Stillleben, sondern seltsam verwaschen-fotografische Gemälde, die jeden in ihren Bann zogen.
Stolz beobachtete Ebba, wie die junge Corinna Fuchs von ihren besten Kunden umringt wurde, die auch am Ende des Abends nicht müde wurden, sie nach ihrem Stil, ihrer Inspiration, ihrem Werdegang und ihrer Privatnummer zu fragen, in der Hoffnung, sie in ihrem Atelier aufsuchen zu können und dort im Direktverkauf den Preis zu drücken. Ebba kannte diese speziellen Kunden, und sie hatte vorgesorgt. Jedes Bild, das in Corinnas Atelier entstand, gehörte der Galerie, vom ersten Pinselstrich an. So hatten sie es vertraglich festgehalten. Es war ein gutes Geschäft auf Gegenseitigkeit.
Acht Bilder, das waren vierzigtausend Euro â für jeden von ihnen. Und es war erst der Anfang. Am Vortag war ein groÃer Artikel in der art erschienen, und Ebba hatte Anrufe und Angebote aus aller Welt erhalten, die Künstlerin auch in anderen Galerien zu vertreten. Paris, London, New York. Ein Traum.
Weniger traumhaft war, dass ausgerechnet Jörg die Fotos dazu geschossen hatte. Der erste Riss in ihrer Beziehung kurz nach der Beerdigung ihrer Mutter hatte sich nie mehr ganz kitten lassen, obwohl sie beide es immer wieder versucht hatten. Vor einem halben Jahr hatten sie sich dann endgültig getrennt, und es hatte Ebba überrascht, wie unendlich traurig sie das machte. Nie hätte sie gedacht, dass ihre Gefühle für Jörg so tief waren, und sie hatte schon öfter den Hörer in der Hand gehabt, um ihn anzurufen. Dann aber hatte sie es bleiben lassen. Hätten sie sich erneut versöhnt, würde es vielleicht wieder zur Trennung kommen, und das wollte sie nicht noch einmal erleben.
Jetzt aber war ein Treffen aus beruflichen Gründen unvermeidlich gewesen, und sie hatte kaum gewusst, wohin sie sich in ihrer Verlegenheit über all die ungesagten Erklärungen, die Versuchungen und Sehnsüchte wenden sollte. Kühl und geschäftsmäÃig hatte sie geklungen, und Jörg hatte genauso professionell geantwortet, aber jeder Blick, der sie traf, bohrte sich in Ebbas Herz. Er war blass und ernst bei der Arbeit gewesen, hatte die Bilder mit viel Aufwand ins beste Licht gerückt und fotografiert, hatte ihr gezwungen distanziert den Textredakteur vorgestellt, dem sie mit beherrschter Stimme Auskunft gab,
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