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Im Dunkel der Schuld

Im Dunkel der Schuld

Titel: Im Dunkel der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Hampp
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laufen, wie sie es eine Zeit lang befürchtet hatte, bestand also nicht.
    Warum bekam sie ihn nicht aus dem Kopf? Warum fiel ihr ausgerechnet jetzt, am Nachmittag des Heiligen Abends, während sie ihre Wohnungstür aufschloss, die Szene von vor vier Jahren ein, als er zum ersten Mal über Nacht geblieben war und sie am nächsten Morgen gemeinsam die Schlafzimmertür ausgehängt hatten? Es war das letzte Weihnachtsfest gewesen, an dem Georg noch gelebt hatte.
    Ebba streifte ihre Pumps ab und ging zur Fensterfront. Die schneebedeckten Hausdächer unter ihr verschwammen in der Dämmerung wie hinter einem Schleier. Verdammt. Sie hatte bewusst auf Weihnachtsdekoration verzichtet, um jeglicher Sentimentalität zu entrinnen, aber schon der Heimweg vorbei an all den überladenen Auslagen der Geschäfte und den geschmückten Weihnachtsbäumen in den bereits erleuchteten Fenstern der Häuser und Wohnungen war verstörend gewesen. Sie wollte nicht an früher denken, doch als die dunklen Kirchenglocken in die Abenddämmerung hineinklangen, da kroch er wieder in ihr hoch, jener unheilvolle Heiligabend ihrer Kindheit, als Frieda ihre Kinder schon am frühen Nachmittag in die Kirche gezerrt und sie sich auf dem Heimweg mehr denn je ein »richtiges« Fest gewünscht hatte. Ihr Vater hatte sie, bis sie endlich zurück waren, aus dem Haus ausgesperrt, um ihnen eine »Lektion« zu erteilen, sodass sie den Heiligen Abend – fast wie in der Lesung – zwar nicht im Stall, aber in der kalten Garage verbringen mussten, im Mercedes des Vaters, hungrig, frierend und weinend eng aneinandergekuschelt.
    Nie mehr hatten sie jenen Abend seither erwähnt, und erst 1996 hatte Ebba die Tradition der Familienzusammenkünfte eingeführt, die nur vordergründig Einigkeit und Harmonie widerspiegeln, in Wahrheit aber ablenken sollten von der Kälte und der Leere, die ihnen das Wort »Weihnachten« jedes Jahr aufs Neue bescherte.
    Jetzt gab es nicht einmal mehr diese Treffen.
    Ebba wandte sich vom Fenster ab und ließ den Blick durch ihre Wohnung schweifen. Kein sentimentaler Firlefanz, keine Tannenzweige, keine Kugeln, Engel, Vanillekipferl. Nichts. Alles sah aus wie immer. Aufgeräumt, hell, kühl, Sicherheit gebend. Bei Rosie war das bestimmt anders. Die hatte ihr Puppenhaus garantiert mit allem Weihnachtlichen vollgestopft, was es in den Läden und Märkten zu kaufen gab.
    Ebba mummelte sich in dicke Socken, Strickjacke und Wolldecke, verzog sich mit einem Glas Rotwein auf die Couch und wählte die Nummer in Norddeutschland.
    Rosie war gleich am Apparat und klang merkwürdig atemlos, als sei sie zum Telefon gerannt.
    Â»Ach, du bist das.«
    Â»Frohe Weihnachten, Rosie.«
    Â»Gibt es etwas Besonderes?«
    Â»Störe ich?«
    Â»Nicht direkt. Ich erwarte einen Anruf.«
    Â»Von wem?«
    Â»Das geht dich nichts an.«
    Â»Ah, also doch!«
    Â»Ebba, nicht schon wieder! Es ist nicht, was du denkst.«
    Â»Was dann?«
    Â»Hör bitte auf, mir einen heimlichen Geliebten anzudichten.«
    Â»Aber es gibt jemanden, das spüre ich doch.«
    Â»Lass mich Ruhe. Ich will nicht, dass du dir Geschichten ausdenkst.«
    Â»Das ist keine Geschichte. Ich kann mich genau erinnern, als wäre es gestern, weil ich mich so für dich gefreut hatte: Du hast von dem Arzt erzählt, den du auf der Bahnfahrt …«
    Â»Das war ein Versehen. Bitte, hör auf damit. Ich darf nicht darüber reden, sonst …«
    Â»Sonst – was? Rosie, was ist bei dir los? Da läuft doch was schief!« Ebba krampfte sich der Magen zusammen.
    Hauchfeines Schniefen war am anderen Ende zu hören.
    Â»Sonst – was?«, wiederholte Ebba drängend. »Rosie, alles okay? Bist du glücklich? Darfst du mir wenigstens das sagen? Verbietet dieser Kerl dir, über ihn zu reden?«
    Jetzt war für eine Weile gar nichts mehr zu hören, dann ein leises Piepsen, das Ebba nicht verstand.
    Es lief ihr kalt über den Rücken. Lieber allein als unglücklich – ihr Lebensmotto schien sich wieder einmal zu bewahrheiten.
    Â»Was ist los mit dir, Rosie?«
    Â»A-alles in O-ordnung«, drang die Stimme ihrer Schwester verquollen aus dem Hörer.
    Alarmstufe Rot. Diesen Ton und diesen Spruch kannte sie. Das hatte Rosie immer gefaselt, wenn sie – leichenblass – endlich vom schmalen Fenstersims zurück ins Zimmer durfte, oder wenn Georg sie

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