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Im Dunkel der Waelder

Im Dunkel der Waelder

Titel: Im Dunkel der Waelder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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modisch, verstehen Sie? Schade, daß Sie keinen Besuch mehr bekommen. Ich weiß, daß Ihnen daran momentan nicht sonderlich viel liegt, aber trotzdem. Ganz allein dazustehen … ach, man kann sagen, daß Ihre Freunde Sie fallengelassen haben. Aber ich habe es Ihnen ja schon immer gesagt, so ist das heutzutage, die Leute interessieren sich nur für einen, solange man ihnen nützlich ist.«
    Meine Freunde … Ich hatte nie viele Freunde, ich konnte sie an den Fingern einer Hand abzählen. Und noch dazu leben sie jetzt nicht mehr hier: Frank und Julia wohnen in Paris, Cyrille ist gerade in die Nähe von Grenoble versetzt worden, Isabelle und Luc wohnen in Nizza, nicht weit von meinem Onkel entfernt. Seit ich Benoît kennengelernt hatte, habe ich praktisch niemanden mehr gesehen, und die wenigen Bekannten, mit denen wir ausgingen, leben in Paris. Anfangs haben sie angerufen, die Freunde. Sie waren völlig schockiert. Benoît tot, ich behindert … Und dann wurden die Anrufe immer seltener. Ich verstehe sie, es muß peinlich für sie sein, sie haben es vorgezogen, mich zu vergessen.
    »Habe ich auch den Glasreiniger gekauft?« unterbricht sich plötzlich Yvette.
    Sie geht noch einmal Stück für Stück ihre Einkaufsliste durch. Ich höre nicht mehr hin. Ich grüble über das nach, was mir die kleine Virginie erzählt hat. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, erinnere ich mich sehr gut an den kleinen Victor, den Sohn der Tabakladenbesitzerin. Jeder hat damals von der entsetzlichen Geschichte gesprochen. Er war in der Nähe des Kanals erwürgt aufgefunden worden. Das muß mindestens fünf Jahre her sein … Und der andere, der mit dem Doppelnamen, ja, ich erinnere mich, Benoît und ich haben über diesen Fall geredet. Auch er wurde, glaube ich, erwürgt. Die Polizei hatte einen Onkel in Verdacht, doch man konnte ihm nichts nachweisen. Aber solche Dinge geschehen derart häufig … zuerst sind sie in aller Munde und dann mit der Zeit vergißt man sie wieder. Und dieser kleine Michael? Das müßte ja erst kürzlich passiert sein. Habe ich diesen Namen nicht gestern abend in den Nachrichten gehört? Heute abend muß ich mir unbedingt die Fernsehnachrichten anhören. Vorausgesetzt, Yvette läßt mich im Wohnzimmer sitzen. Manchmal schiebt sie mich in mein Zimmer. Ich soll mich ausruhen. Von was, frage ich mich. Sie macht mir das Radio oder den CD-Player an. Sie nimmt sich irgendeine CD, läßt die Stücke weg, die ihr nicht harmonisch erscheinen und überfüttert mich mit klassischer Musik oder Musettewalzern. Ich habe mir bestimmt schon zweihundertmal Riquita, jolie fleur de Java anhören müssen, und oft träume ich davon, Riquita zu erwürgen, sie zu Brei zu schlagen.
    Yvette verstaut die Einkäufe. Sie hat mich im Wohnzimmer im Strahl der Sonne gelassen. Langsam wird das Wetter wärmer, sie hat die Fenster weit geöffnet, ich spüre den Wind auf meiner Stirn und rieche den Duft der Blumen draußen. Ich kann die Düfte nicht unterscheiden, aber ich kann sie wahrnehmen, ich atme den Geruch des blühenden Frühlings, gierig sauge ich die Sonne ein.
    Es klingelt. Das ist die Masseurin. Eine Folterstunde steht mir bevor.
    Das Glück ist mir hold. Während sie meine schlaffen Muskeln bearbeitet, ruft Catherine, so heißt die Krankengymnastin, plötzlich Yvette etwas zu, die in der Küche hantiert:
    »Haben Sie schon gehört? Sie haben den kleinen Jungen gefunden, erwürgt.«
    »Was?« fragt Yvette und dreht den Wasserhahn zu.
    »Man hat den kleinen Michael Massenet aus La Verrière gefunden. Seine Mutter kommt wegen ihrer Nackenschmerzen zu mir. Sie hat sich letztes Jahr einen Halswirbelbruch zugezogen. Man hat den Kleinen im Wald gefunden. Erwürgt.«
    Yvettes Stimme scheint jetzt aus nächster Nähe zu kommen. Ich stelle mir vor, wie sie sich die Hände an ihrer mit pastellfarbenen Frühlingsblumen bedruckten Baumwollschürze abwischt. Sie ist empört: »Was für eine Welt! Wie alt war er?«
    »Acht Jahre alt. Ein hübscher kleiner Junge mit blonden Locken. Ich habe es gerade in den Dreiuhrnachrichten gehört. Der Leichnam wurde in der Nähe des Flusses von einem Angler gefunden, als er mittags zu seinem Auto zurückging. Der Tod ist vor wenigstens vierundzwanzig Stunden eingetreten. Können Sie sich vorstellen, was das für ein Schock für den Mann war? Wenn ich Kinder hätte, würde ich sie momentan nicht aus dem Haus lassen. Das muß man sich mal vorstellen, das ist der vierte Mord in fünf Jahren.«
    »Der vierte?«
    »Aber

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