Im Dunkel des Deltas (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
sagte er und kniff die Augenwinkel zusammen. »Hätte nie gedacht, daß ich das mal sagen würde, aber der Kerl fehlt mir ... Stimmt was nicht?«
Die nächsten zwei Stunden erledigte ich Papierkram und versuchte meine Akten auf den neuesten Stand zu bringen. Die Hälfte davon mußte ich mir erst aus Rufus Arceneaux’ Büro zurückholen.
»Ich bin nicht nachtragend«, sagte er, als ich wieder aus der Tür gehen wollte.
»Ich auch nicht, Rufus«, sagte ich.
»Wolln wir den Doppelmord draußen in Cade gemeinsam bearbeiten?« sagte er.
»Nein«, sagte ich und zog die Tür hinter mir zu.
Ich räumte meinen Schreibtisch ab und breitete dann sämtliche Unterlagen darauf aus, die ich über Johnny Giacano, Patsy Dapolito, Sweet Pea Chaisson, Emile Pogue, Sonny Boy Marsallus, den Mann namens Jake, dessen verstümmelte Leiche wir aus einem Sumpfloch gezogen hatten, und auch Luke Fontenot hatte – Faxe, erkennungsdienstliche Fotos, Tatortaufnahmen, Computerausdrucke vom National Crime Information Center (die Eintragung über Dapolito hatte es mir besonders angetan; als er im Bundesgefängnis in Marion einsaß, hatte er versucht, einem Anstaltspsychologen die Nase abzubeißen).
Was fehlte mir?
Eine Akte über Moleen Bertrand.
Irgendwo mußte eine existieren, im Pentagon oder in Langley, Virginia, aber an die würde ich nie und nimmer rankommen. Und aller Wahrscheinlichkeit nach auch das FBI nicht.
Aber es gab noch eine andere Möglichkeit, wie ich mir Auskunft über die Bertrands verschaffen konnte – eine Akte, die ich mir längst hätte vornehmen sollen.
Julia Bertrands.
Die nächsten zwei Stunden wühlten Helen Soileau und ich uns durch zahllose Aktenordner und mit Bindfaden verschnürte braune Umschläge, die in einem vom Boden bis zur Decke mit Kartons vollgestellten Archivraum aufbewahrt wurden. Viele waren durch die Feuchtigkeit beschädigt und rissen am Boden aus, wenn man sie hochhob.
Aber wir fanden sie.
Halloween 1983, auf einem Fahrweg zwischen zwei Zuckerrohrfeldern draußen in Cade. Drei schwarze Kinder, alle kostümiert, die Tüten für die erbettelten Süßigkeiten in der einen, die Kürbislaternen in der anderen Hand, sind mit ihrem Großvater zum nächsten Haus unterwegs. Ein blauer Buick biegt vom Highway ab, gerät auf der unbefestigten Piste ins Schlingern, wirbelt eine Staubwolke auf. Der Großvater hört, wie der Motor aufheult, wie trockene Erdklumpen unten an die Kotflügel schlagen, die Reifen über die festgebackenen Querrillen rumpeln. Die Scheinwerfer erfassen ihn und die Kinder, strahlen die Rohrkolben in den Gräben an. Der Großvater glaubt, daß der Fahrer bestimmt noch abbremsen, auf die andere Straßenseite ausweichen, irgendwie verhindern wird, was einfach nicht passieren darf.
Statt dessen gibt der Fahrer noch mehr Gas. Der Buick rast im pfeifenden Fahrtwind vorbei, hüllt die Fußgänger in eine Wolke aus Staub und Abgasen. Der Großvater versucht seine Ohren zu verschließen, als sein Enkelkind unter der Stoßstange des Buick verschwindet, sieht, wie die noch immer brennende Kürbislaterne mit dem grinsenden Mund wie toll in die Dunkelheit kullert.
Ich arbeitete die Mittagspause hindurch, las ein ums andere Mal die Akte und sämtliche Seiten in dem Spiralheft, in dem der Sachbearbeiter seinerzeit den Stand der Ermittlungen handschriftlich notiert hatte.
Helen kam um 13 Uhr vom Mittagessen zurück. Sie stützte sich mit den Fingerknöcheln auf meine Schreibtischplatte und starrte auf die glänzenden Schwarzweißfotos, die am Unfallort aufgenommen worden waren. »Armes Kerlchen«, sagte sie.
Das Original des Unfallberichts war durch eingesickertes Wasser an den Rändern braun und steif, die Tinte fast unleserlich, doch den Namen des Deputys, der ihn unterschrieben hatte, konnte man noch erkennen.
»Schau dir das an«, sagte ich und drehte die Seite um, damit Helen sie lesen konnte.
»Rufus?«
»Es wird noch interessanter«, sagte ich und blätterte in den Papieren. »Ein Zivilfahnder namens Mitchell war mit der Ermittlung beauftragt. Der Großvater hatte sich drei Ziffern vom Nummernschild gemerkt, und der Zivilfahnder stellte fest, daß sie mit der Nummer von Julias Buick übereinstimmten. Julia gab zu, daß sie in der Halloween-Nacht mit ihrem Wagen draußen in Cade war, aber der Wagen war offenbar nicht beschädigt, so daß sich nicht nachweisen ließ, ob er in den Unfall verwickelt war. Der eigentliche Haken aber ist die Aussage von dem alten
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