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Im Dunkel des Deltas (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Im Dunkel des Deltas (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Im Dunkel des Deltas (Detective Dave Robicheaux) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lee Burke
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des Golfs von Mexiko. Die Firma, bei der er beschäftigt gewesen war, arbeitete ohne Verpuffungsschutz am Bohrgestänge, und als der Meißel unverhofft auf eine Erdgasblase stieß, wurde das Standrohr unter dem gewaltigen Druck aus dem Bohrloch geschleudert, ein Funke tanzte über die Stahlkonstruktion, und eine Flamme, die man von Morgan City bis Cy-premort Point sehen konnte, schoß in den Himmel.
    Mein Vater hakte seinen Sicherungsgurt in das Abseilkabel und sprang in die Dunkelheit, doch der Bohrturm brach in sich zusammen wie ein in glühendem Feuer schmelzendes Stück Draht und riß meinen Vater und neunzehn weitere Männer mit sich in die Tiefe.
    Ich kannte die Stelle in- und auswendig. Ich konnte seine Gegenwart geradezu spüren, ihn vor meinem inneren Auge sehen, tief unter den Wellen, in seiner Arbeitsmontur, die in der Strömung wogte, den eisernen Schutzhelm schief auf den Kopf gestülpt, wie er mir zugrinste, den Daumen hochreckte und mir erklärte, daß ich überhaupt keine Angst zu haben bräuchte. Zweimal im Jahr, an Allerheiligen und an seinem Todestag, kam ich hierher, stellte den Motor ab, ließ das Boot über dem Wrack des Bohrturms und der Mannschaftsbarkasse dahintreiben, auf denen jetzt grünes Moos wucherte, und lauschte auf das Klatschen des Wassers am Bootsrumpf, die Schreie der Möwen, so als sei seine Stimme noch immer an diesen Ort gebannt, warte darauf, daß man sie hörte, wie ein leises Wispern in der Gischt.
    Er liebte Kinder, Blumen und Frauen, über Holzkohle gefilterten Bourbon und wilde Kneipenschlägereien, und er schleppte den Schmerz über die Treulosigkeit meiner Mutter wie eine schwere Blessur mit sich herum, ohne es sich jemals anmerken zu lassen. Aber einmal, auf der Entenjagd, als er betrunken war und sein Versagen gegenüber mir und meiner Mutter einzugestehen versuchte, sagte er: »Dave, lass niemals zu, daß du allein bist«, und ich erkannte eine ganz andere Seite an meinem Vater, sah eine Einsamkeit und Verlassenheit, die wieder anzusprechen uns nicht genügend Jahre bleiben sollten.
    Das Wasser war rötlich braun, die Dünung mit Regenringen gesprenkelt. Ich ging mit einem Strauß gelber Rosen zum Heck, warf sie in die Sonne und sah zu, wie eine gischtgekrönte Woge sie auseinanderriß und die Blüten zerstreute.
    Niemals allein, Al
, sagte ich leise vor mich hin, dann ging ich mit Batist in die Kabine zurück und fuhr mit Vollgas nach Hause.
    In dieser Nacht suchte mich ein alter Bekannter auf – die Nachwirkungen der Malaria, die wie Moskitoeier in meinem Blut fortlebte. Ich wachte gegen Mitternacht durch fernes Donnergrollen auf, spürte die Kälte auf meiner Haut, hörte, wie der Regen auf die Blätter des Fensterventilators schlug, und dachte, über dem Marschland im Süden entlade sich ein Gewitter.
    Eine Stunde später schlugen meine Zähne aufeinander, und ich hörte Moskitos um meine Ohren schwirren, obwohl keine da waren. Ich wollte mich am liebsten unter einem Stapel Decken verkriechen, dabei waren Laken und Kissen bereits schweißnaß. Mein Mund fühlte sich trocken an, wie ein Aschenbecher.
    Ich wußte, daß es vorübergehen würde – wie immer. Ich mußte nur abwarten, und mit etwas Glück würde ich morgen früh erschöpft aufwachen, so kalt und leer, als sei ich ausgeweidet und inwendig mit einem Schlauch abgespritzt worden.
    Manchmal sah ich in diesen Nachtstunden einen schillernden Tiger, der wie ein flackerndes oranges Licht hinter einer Reihe Bäume auf und ab streifte, von denen Schlangen hingen, deren smaragdgrüne Leiber so dick und geschmeidig wie Elefantenrüssel waren.
    Doch mir war bewußt, daß diese Bilder ebensosehr meinem einstigen Alkoholikerdasein entsprangen, wie sie ein Andenken an meinen Aufenthalt auf den Philippinen waren – genaugenommen nur ein trocken-trunkener Teil des Theaters, das ein gesichtsloser Puppenspieler von Zeit zu Zeit in meinem Kopf inszenierte.
    Aber heute nacht war es anders.
    Zuerst kam es mir wie bloße Einbildung vor. Ich sah ihn mit nacktem Oberkörper aus dem Sumpf steigen, sah den Seetang, der sich wie Schlangen um seine Knöchel ringelte, die Haut, die weiß und blutleer war wie Marmor, die hell leuchtenden Haare, die wie Flammen auf seinem Kopf loderten.
    Das Gewitter entlud sich über dem Sumpf, und im weißlich flackernden Licht konnte ich die Pecanbäume und die Eichen im Garten sehen, das Blechdach des Köderladens, das sich jäh in der Dunkelheit abzeichnete, im Sturmwind an den Sparren zerrte.

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