Im Dunkel des Deltas (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Es war wie ein jäher Temperatursturz, so als ob die Luft aus unserem Schlafzimmer gesogen würde, durch die Vorhänge abzog, hinaus in die Bäume, und als ich die Augen öffnete, wußte ich, daß ich mich an einem Ort befand, der so kalt war wie Wasser, zu dem noch nie ein Sonnenstrahl durchgedrungen war, so unzugänglich wie der Steilabfall am Rande des Festlandssockels.
Wie läuft’s, Streak?
fragte er.
Du weißt doch, wie es ist. Du steckst tief im Indianerland und glaubst ständig, daß jemand deinen Rücken im Visier hat
, erwiderte ich.
Was ist mit Emile Pogue? Isser nicht die Wucht?
Warum hast du dich auf deren Tour eingelassen, Sonny? Warum hast du nicht mit mir zusammengearbeitet?
Bei dir kommen Herz und Hirn einander ins Gehege, Dave. Du bringst es fertig, das Trojanische Pferd durchs Tor zu ziehen
.
Was soll das heißen?
Er ergriff meine Hand und zog sie an seinen Brustkorb.
Steck den Daumen in das Loch, Dave. Das ist die Austrittswunde. Emile Pogue hat mich viermal am Rücken erwischt
.
Entschuldige, Sonny. Ich habe dich im Stich gelassen
.
Laß die Schuldgefühle. Ich hab gewußt, worum es geht, als ich Emiles Bruder erledigt habe
.
Wir hätten dich hinter Schloß und Riegel lassen sollen. Dann wärst du jetzt am Leben
.
Wer sagt denn, daß ich’s nicht bin? Bleib bei dem guten alten Boogie-Woogie, Streak. Stromer nicht dort rum, wo sich nicht mal die Engel hingetraun. Hey, war bloß ein Witz
.
Warte
, sagte ich.
Als ich hinfassen und ihn berühren wollte, gingen meine Augen auf, als ob mir jemand eine Ohrfeige versetzt hätte. Ich stand vor dem Fensterventilator, dessen Blätter sich im Dunst drehten, der in das Zimmer drang. Meine Hand war ausgestreckt, leblos, so als schwebe sie im Wasser. Der Garten war verlassen, und die Bäume plusterten sich im Wind.
Der Sheriff hatte von Leuchtkugeln geträumt, die über den weiß verschneiten Hügeln Nordkoreas hochgingen. Ich hatte gelogen und versucht, seine Angst zu vertreiben, so wie immer, wenn wir jemanden sehen, dem der Tod ins Gesicht geschrieben steht.
Jetzt versuchte ich meine zu vertreiben.
Zu meinen Füßen lag ein braunes Stück Seetang.
29
Ich schlief bis sieben, duschte dann, zog mich an und frühstückte in der Küche. Ich spürte, wie der Tag langsam ins Lot kam, wie die Wirklichkeit, der blaue Himmel, der Wind, der durch die Fliegengitter wehte, und die Stimmen drunten am Bootsanleger, allmählich die Oberhand gewann und die Begebenheit von letzter Nacht verdrängte.
Ich sagte mir, daß Nachtmahre den Sonnenschein nicht mögen.
Eitle Einbildung.
Unwillkürlich faßte ich an mein Handgelenk, so als könne ich dort immer noch Sonnys klamme Finger spüren.
»Hat’s dich letzte Nacht umgetrieben?« fragte Bootsie.
»Ein kleines Andenken an die Moskitos.«
»Machst du dir Sorgen, weil du wieder in den Dienst gehst, Dave?«
»Nein, das geht schon in Ordnung.«
Sie beugte sich über die Lehne meines Stuhls, verschränkte die Arme unter meinem Hals und küßte mich hinters Ohr. Ihr Shampoo roch nach Erdbeeren.
»Sieh zu, daß du heut nachmittag früh heimkommst«, sagte sie.
»Was steht an?«
»Kann man nie wissen«, sagte sie.
Dann schmiegte sie ihre Wange an mein Gesicht und tätschelte mir die Brust.
Eine halbe Stunde später saß mir Clete Purcel in meinem Büro in der Dienststelle gegenüber.
»Ein Stück Seetang?« sagte er.
»Jo.«
»Dave, du bist gestern draußen im Golf gewesen. Du hast es selber ins Haus geschleppt.«
»Ja, so ist es wahrscheinlich gewesen«, sagte ich und wandte die Augen ab.
»Ich kann dieses Voodoo-Zeug nicht ab, Mann. Halten wir uns einfach an die Tatsachen. Du hast deine Dienstmarke wieder. Höchste Zeit, daß wir es Pogue und diesen Spaghettis zeigen ... Hörst du zu?«
»Der ganze Ärger hier kommt nicht von außerhalb. Der ist hausgemacht.«
»Beziehst du dich wieder auf diesen Bertrand?«
»Er ist der Dreh- und Angelpunkt, Clete. Keiner von den andern Typen wäre hier, wenn er nicht den Anlaß dazu geliefert hätte.«
»Der is doch ’n Waschlappen. Ich hab ihn neulich im Lebensmittelladen gesehn. Seine Alte hat mit ihm geredet, als ob er der Tütenträger war.«
»Sieht ihnen gar nicht ähnlich.«
»Vielleicht führt er ein Doppelleben als menschlicher Pudel. Wie auch immer, ich muß mich ranhalten. Bleib du einfach bei dem guten alten Boogie-Woogie, mein Bester.«
»Was hast du gesagt?«
»Ach, das is’n Spruch, den Sonny drunten in Guatemala immer abgelassen hat«,
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