Im Dunkeln sind alle Wölfe grau
schwarz und markant. Ich fragte mich, wie alt sie war – neunzehn, vielleicht zwanzig.
Ich trat etwas näher. Sie stand da mit einem kleinen halben Lächeln um die Lippen. Ich sagte: »Du bist – du bist der Typ, in den sich alle verlieben, stimmt’s? Du weißt das, alle sagen das …«
Sie sah mich mit großen glänzenden Augen an.
Ich fuhr fort: »Genau wie Ingrid Bergmann in Casablanca. «
»Wer?« Sie sah verwirrt aus.
»Oh – eine Frau, in die man sich leicht …«
»Jetzt hab ich sie gesehen«, sagte sie. »Die Aussicht.« Sie lächelte strahlend, als sie an mir vorbeiging, so nah, daß ich ihren süßen, blumigen Duft spüren konnte. »Danke dir.«
An der Tür blieb sie stehen und sah sich um. »Warum machst du das Licht nicht an?«
Aber sie wartete nicht auf eine Antwort. Ich hörte ihre Schritte auf dem Weg aus dem Wartezimmer, die Tür, die hinter ihr zuschlug, ihre Schritte draußen im Korridor, die Fahrstuhltür, die Maschinerie und dann schließlich: Stille.
Ich betrachtete mich im Spiegel. Dann griff ich das Aquavitglas, prostete meinem Spiegelbild zu und sagte: »This is looking at you, kid.«
Ich leerte das Glas in einem Zug, ging hinüber und machte das Licht an. Wenig später ging ich nach Hause.
41
Der September hat Tage wie goldener Honig, Morgen mit schwerer Sonne vor deinen Fenstern. Der September ist eine reife Geliebte: mit runden Formen und Spätsommerwinde in den Adern. Die Sonne spielt in Farben, die noch nicht die kalten Töne des Oktobers tragen. Das sind Tage, zu denen man langsam aufwachen und für die man viel Zeit haben sollte. Ich aß ein wohlbemessenes Frühstück vor einem Fenster, das nach Putzen verlangte. Die Regen des Sommers lagen als bleiche Schicht auf dem Glas. Vor dem Fenster flatterte munter die Wäsche. Ein Radio spielte deutsche Unterhaltungsmusik. Oben auf dem Dachfirst hielten die Kleinvögel Kriegsrat: Zeit für eine Mittelmeerreise – oder September in Norwegen? Es gibt immer eine Wahl zu treffen, Entscheidungen zu fällen.
Ich rief wieder in Konrad Fanebusts Büro an. Doch, Fanebust war gekommen. Nein, er saß in einer Besprechung. Ob sie nicht freundlicherweise meinen Namen – dann könnte Fanebust zurückrufen, wenn er Zeit hatte.
Ich bat sie aufs liebenswürdigste, jetzt ein paar Worte mit ihm wechseln zu dürfen. Ich bat sie, von Veum zu grüßen und zu sagen, daß ich etwas äußerst Wichtiges mit ihm zu besprechen hätte. Äußerst.
Die Dame kam nach ein paar Minuten zurück, etwas außer Atem. Doch ja, sie hatte mit Fanebust gesprochen, und wenn ich um halb drei vorbeikommen könnte, würde er versuchen, ein bißchen Zeit abzuzweigen.
Ich sagte: »Haben Sie denn nicht die letzten WeltuntergangsProphezeiungen gelesen? Die Welt kann um halb drei untergegangen sein, und außerdem ist dieses Jahr Parlamentswahl.« Sie sagte: »Haben Sie die Zeitungen nicht gelesen? Der Termin ist um halb drei. Auf Wiederhören.«
»Auf Wiederhören.«
Auf dem Weg zum Büro kaufte ich die Zeitungen. Krise in der
Schiffsbranche, stand auf einer Titelseite. Krisensitzung in Kopenhagen stand auf einer anderen. Neue Konkurse zu erwarten? hieß es auf einer dritten. Die Formulierungen waren unterschiedlich, aber die Bedeutung war dieselbe: Konrad Fanebust hatte mit wichtigeren Dingen zu kämpfen, als mit Bränden von vor 28 Jahren, Verschwundenen von vor zehn.
Und außerdem war also Parlamentswahl. Dies war ein Jahr, in dem alle Politiker die Wahlkampagnetechnik in den USA studiert hatten. Die Kandidaten der Linken kamen auf grünen Fahrrädern zu den Wahlveranstaltungen geradelt, die Zentrumsparteileute pflanzten Büsche auf kahle Grünflächen, der Staatsministerkandidat der Arbeiterpartei verteilte rote Rosen auf der Torgalmenning, während der konservative Kandidat sich vom norwegischen Fernsehen in höchst volksnahem Gespräch auf dem Gemüsemarkt in Stavanger filmen ließ, wenn auch vielleicht mit etwas starrem Lächeln, aber immerhin. Dies war das Jahr, in dem alle noch mehr versprachen als jemals zuvor, und alle wußten, daß wir weniger denn je bekommen würden. Es war Hochsaison für alte Zyniker. Die Optimisten waren in Deckung gegangen.
Vom Büro aus rief ich Vegard Vadheim an. Ich fragte, ob es bei den Fahndungen, die sie rausgeschickt hatten, etwas Neues gab. Er antwortete, er könne darauf nicht antworten, aber es gäbe nichts. Ich dankte und legte auf.
Der Vormittag ging still vorüber, wie ein bescheidener Beerdigungsgast. Aus der Nachbarpraxis
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