Im Dunkeln sind alle Wölfe grau
hier.
Ich las die Artikel noch einmal durch. Daß die Meldung von der Fahndung überhaupt in Druck gegangen war, war an sich schon ein Lichtblick. Das konnte bedeuten, daß Hamre oder Vadheim, oder womöglich auch der Kripochef selbst sich gegen Muus durchgesetzt hatten. Daß dort nicht mehr stand, bedeutete nicht, daß die Polizei nicht weitere Fakten in der Hinterhand hatte, nur, was sie der Presse nicht erzählten, würden sie wohl auch kaum mir erzählen.
Ich legte die Zeitungen zur Seite und rief Konrad Fanebust an. Von seiner Sekretärin erfuhr ich, daß er bei einer Sitzung in Kopenhagen war und nicht vor dem späten Abend zurückerwartet wurde, oder mit der ersten Morgenmaschine am nächsten Tag. Ich dankte für die Auskunft und legte auf.
Draußen vor meinen Fenstern breitete ein neuer Tag seine Flügel aus, goldene Septembersonne auf den Federn.
Die Häuser am Fjellhang zeichneten sich scharf vor ihrem Hintergrund ab, und über den Baumkronen lag ein brauner Schimmer, als hätte jemand ein sehr, sehr dünnes Netz über sie geworfen. Es war der Herbst, der seine Netze ausgelegt hatte. Bald würden wir alle darin zappeln.
Das Telefon klingelte wieder. Ich nahm ab. »Hallo?«
Niemand antwortete.
»Hallo? Hier ist Veum.«
Jemand legte auf. Es sagte klick, und kurz danach war der Summton wieder da. Ich sah auf die Muschel hinunter als ob sie mir etwas erzählen könnte. Entweder war es die falsche Nummer gewesen, oder aber jemand hatte die Lust zu sprechen verloren.
Fünf Minuten später hörte ich, daß die Tür zu meinem Wartezimmer aufging.
Ich wartete ab, ob jemand anklopfte, aber nichts geschah. Die Leute verhalten sich unterschiedlich in den Büros von Privatdetektiven. Einige stürmen durch alle Füren herein, ohne einen Gedanken daran, daß du vielleicht gerade deine Lieblingsblondine hoch auf dem Schoß sitzen hattest. Andere kommen ins Wartezimmer und gehen fast in die Tapete über. Sie zu finden ist wie nach versteckten Figuren in einem Bilderrätsel zu suchen. Andere setzen sich hübsch ordentlich mit einer anständigen alten Illustrierten in der Hand auf einen Stuhl, ungefähr als wollten sie zum Arzt; während wieder andere ganz einfach anklopfen.
Ich ging zur Tür und öffnete sie. Ebensogut hätte ich einem Bulldozer aufmachen können.
Der Mann stand da und wartete auf mich, mit leicht gespreizten Beinen. Er war breit und athletisch gebaut, auf die leicht untersetzte Art, die ehemalige Gewichtheber kennzeichnet. Die blaue Strickmütze war in die Stirn gezogen, über ein bleiches, viereckiges Gesicht mit hellblauen Augen und blaßgrauem Bartwuchs. Er war sportlich gekleidet, in kurzer Lotsenjacke, blauen Jeans und leichten, braunen Stiefeln, aber mir war nicht danach, sein Sport zu sein.
Bevor ich den Mund aufmachen konnte, hatte er mir seine große Faust in den Magen gepflanzt. Ich knickte zusammen wie eine kichernde Tanzlehrerin, und er schlug mir in einem Tangoschritt das Knie gegen die Schläfe. Ich sah schon doppelt, und als seine Faust wieder herunterkam, genau in den Übergang von Nacken und Schulter, faltete sich der ganze Raum zusammen wie ein chinesischer Fächer, und dann war alles weg.
Aber ein Detail hatte sich mir vor dem ersten Schlag noch eingeprägt: er war nicht allein gewesen. Durch die geriffelte Scheibe zum Korridor hatte ich die Silhouette einer anderen Person gesehen, dunkel und undeutlich durch das Glas.
40
Schritte, die gehen und Schritte, die kommen, wie Wellen, die dich überspülen, wenn du halbetrunken am Strand liegst. Vor und zurück, vor und zurück.
Rütteln dich leicht in der Brandung: vor und zurück, vor und …
»Veum?«
Die See spült. Schwarz ist der September. Selten ist die Sonne.
»Veum?« Eine Stimme. Sie wirkt bekannt, aber nicht vertraut. Ich schaff es nicht, sie einzuordnen.
Ich öffne die Augen und starre auf den verschlissenen braunen Fußboden. Meine Stimme ist gerädert, die Zunge galvanisiert. »Hallo?« Es weckt ein Echo in mir, grausam und grotesk: Halha-lo-hal-lo-hallooooooo …
Mir ist übel. In meinem Bauch liegt ein großer schwarzer Stein und er schmerzt. Ich habe eine Beule an der Stirn und mein Nacken fühlt sich an, als lebte er sein eigenes Leben, losgelöst von meinem.
»Na komm. Was ist denn los?« Diese Stimme …
Ostlanddialekt. Wann trafst du zuletzt einen Ostländer, Varg? Nein. Nein. Es war umgekehrt. Er traf mich.
Kräftige Pranken drehten mich herum. Ich stöhnte. Die Decke kam fürchterlich nah. Sie sah aus, als hätte
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