Im Dunkeln sind alle Wölfe grau
dröhnte der Zahnarztbohrer. Ich dachte an die Assistentin, die nervösen Patienten Servietten um den Hals heftete, Amalgan mischte und neue Terminwünsche entgegennahm. Wenn ich jemals ein vernünftiges Honorar bekam, sollte ich vielleicht selbst einen Termin ausmachen. Mit ihr.
Fünf vor halb drei war ich in Konrad Fanebusts Vorzimmer. Draußen auf der Straße war ich an zwei jungen, kurzhaarigen und wohlgekleideten Männern vorbeigegangen, die ein ernstes, gedämpftes Gespräch führten, der eine einen Stapel Dokumente in den Händen, der andere eine Handvoll Osloer Zeitungen. Gerade als ich vorbeiging, wurden sie still. Bevor ich das Vorzimmer betreten hatte, war das Gespräch wieder in Gang.
Fanebusts Sekretärin stand auf, als ich hereinkam. Sie sah auf die Uhr. Es war eine goldene. An diesem Tag war sie in Grün: grüner Rock, moosfarbenes Cardigan-Kostüm, bernsteinfarbener Schmuck in der Halsgrube. »Sie sind Veum?« konstatierte sie.
Ich lächelte. »Sie vergessen nie ein Gesicht.«
Sie sagte trocken: »Ich habe alles hier auf dem Block.« »Das Gesicht?«
»Den Namen.« Sie wählte Fanebusts Nummer und sagte, daß
ich gekommen sei. Dann legte sie den Hörer auf. »Sie können gleich hineingehen, Veum.«
»Vielen Dank.«
Ich öffnete die Tür. Konrad Fanebust saß am Schreibtisch und schrieb, genau wie beim letzten Mal. Er wies mich auf denselben Stuhl und schrieb weiter, es war eine vollkommene Wiederholung. Nicht wie in den Filmen, wo du die Szenen völlig anders erinnerst, als sie wirklich waren. Dies war eine getreue Kopie, oder auch eine gekonnte Imitation.
Er sah vielleicht etwas müder aus als beim letzten Mal. Ob es die Krise in der Schiffsindustrie war, oder ob die Nachtstunden in Kopenhagen den Ausschlag gegeben hatten, war schwer zu sagen. Aber die Furchen waren eine Spur tiefer und das Lächeln ein wenig angespannter, als er den Füllhalter fein säuberlich zur Seite legte, den Briefbogen in dieselbe Mappe legte wie beim letzten Mal, die Hände vor sich auf dem Tisch faltete und sagte: »Ja … Veum. Sie haben mir etwas Wichtiges zu erzählen. Soll das heißen – Haben Sie ihn etwa gefunden?«
»Wen, Wulff?« sagte ich leichthin.
»Nein.« Ich beobachtete ihn über den Schreibtisch hinweg. »Hatten Sie das erwartet?«
»Wie meinen Sie – erwartet? – Sie sagten doch selbst – daß Sie meinten, es gäbe die Möglichkeit, daß er trotz allem noch am Leben sei.«
»Ja. Ich wußte es vielleicht nicht besser. Die Frage ist mittlerweile: Wieviel wußten Sie, Fanebust?«
Er wurde eine Spur roter im Gesicht. Dann nahm er die Finger voneinander, machte eine Armbewegung zu mir hin, wie eine Art Aufforderung, mich zu erklären, bevor er die Ellbogen auf die Tischplatte und die Fingerspitzen genau gegeneinandersetzte.
Ich sagte: »Sie hätten mir erzählen sollen, daß Sie StauerJohan kannten. Oder Johan Olsen, um uns an seinen bürgerlichen Namen zu halten.«
Sein Gesicht verriet nichts. »Johan Olsen?«
»Sie haben ihn aufgesucht, im Januar 1971. Kurz bevor er verschwand.« Ich beugte mich vor. »Ich habe glaubwürdige Zeugenaussagen, Fanebust, es hat keinen Zweck, es zu verheimlichen.«
Er sagte: »Was sollte ich zu verheimlichen haben? Johan Olsen ist kein außergewöhnlicher Name, und ich kann gern zugeben, daß ich jemanden kannte, der so hieß. Aber was hat das hiermit zu tun?«
»Erzählen Sie mir erst, woher kannten Sie Ihn? Er verkehrte nicht gerade in Ihren Kreisen.«
»Nein, aber Johan war einer meiner Kampfgenossen aus dem Krieg. Er gehörte nicht zum allerengsten Kreis, wie Hjalmar Nymark, aber er war dabei. Er war ein guter Kamerad. Einer, auf den man sich verlassen konnte. Aber leider ging es ihm nach dem Krieg nicht so gut. Er war nicht der einzige; da waren viele, die psychische Probleme bekamen und anfingen zu trinken. Es ging schlecht mit Johan. Ab und zu, wenn ich konnte, tat ich etwas für ihn, beschaffte ihm zum Beispiel den Job am Kai, aber zum Schluß wurde er zu unzuverlässig und drehte völlig durch. Es kann gut sein, daß ich ihn im Januar 1971 besucht habe. Ich kann mich nicht erinnern. Ich war nicht oft bei ihm zuhause, aber es kam vor.«
»Warum gingen Sie zu ihm nach Hause, wenn Sie es taten?«
Er sah mich kalt an. »Alte Kameradschaft. Wenn man unter solchen Umständen zusammen gekämpft hat wie Johan und ich, dann versucht man, den Kontakt zu halten. Egal, wie anstrengend das ab und zu sein mag.«
»Und dann verschwand er also.«
»Ja, ich erinnere mich.«
»Sie
Weitere Kostenlose Bücher