Im Dunkeln sind alle Wölfe grau
nicht mehr von ihm gehört?«
»Nicht ein Wort.«
»Und wem sonst hast du das hier erzählt?«
»Keinem einzigen, Veum. Da sind nur du und ich, die davon wissen.«
Das klang fast wie eine Drohung.
»Und Johan Olsen«, sagte ich.
»Und Johan Olsen«, sagte er und nickte.
»Aber was zum Teufel hat das hier mit Hjalmar Nymark zu tun? Da sind zu viele lose Fäden, Fanebust. Und Olga Sørensen. Johan Olsen hinkte doch. Was, wenn er aus dem Ausland zurückgekehrt wäre? Würde er dann nicht zu dir kommen? Oder zu Olga Sørensen?«
Konrad Fanebust sagte: »Ich habe dir das hier erzählt, weil ich ganz einfach glaube, daß du auf dem Holzweg bist. Das hier hat jedenfalls nichts mit Hjalmar Nymark zu tun. Er war nie darin verwickelt, in keiner Weise. Er hatte keine Ahnung von dem Zusammenhang. Ich glaube, du mußt die Sache von einer anderen Seite sehen – jetzt, wo du jedenfalls von dem, was 1971 passiert ist, absehen kannst. Jetzt weißt du, was damals passiert ist.«
»Aber warum – warum hast du mich so inständig gebeten, zu versuchen, Harald Wulff zu finden? Warum hast du so getan, als glaubtest du, er sei am Leben?«
»Hör zu, Veum. – Ich habe dieses Spiel viele Jahre lang gespielt; ich tue es automatisch. Konspiration ist das Stichwort. So haben wir überlebt. Man gibt nie einen Stich gratis aus der Hand. Und du hattest ja die Fakten auf deiner Seite. Hjalmar Nymark war tot, unter mysteriösen Umständen gestorben, und du konntest ebensogut auf Harald Wulff Jagd machen, wie auf ein anderes Gespenst. Findest du den, der Hjalmar Nymark getötet hat, bin ich nach wie vor gleich interessiert, dein Honorar zu zahlen.«
Ich sah ihn starr an. »Ich weiß nicht, ob ich das annehmen kann.«
»Ach, nein?«
»Es könnte so aussehen, als bezahltest du dafür, daß ich die Schnauze halte.«
»Aber wer weiß schon davon, außer dir und mir?«
»Genau. Ich selbst.«
Er antwortete nicht, sondern sah mich von seinem Platz hinter dem großen Schreibtisch aus säuerlich an.
Ich hatte nicht mehr zu sagen. Ich hatte auch schon mehr als genug zu verdauen. Ein Mysterium aufgeklärt, aber es warteten weitere.
Ich sagte: »Hast du jemals mit Hagbart Helle Geschäfte gemacht?«
»Nicht, daß ich wüßte, Veum«, sagte er leichthin. »Aber in unserem Fach … Er besitzt ja massenweise Scheinfirmen. Da ist es schwer, seine Weste sauber zu halten. Aber wenn du die Schlagzeilen in den Zeitungen gesehen hast … Wir werden beobachtet. Wir können uns zur Zeit nicht viele Ausrutscher leisten.«
»Jemals einem Typen namens Carsten Wiig begegnet?«
»Nie. Wer ist das?«
»Ein Kerl, der herumläuft und Reden hält, für Leichen, die noch gar keine sind.«
»Achso. Tja, wenn du mich entschuldigen würdest, Veum …« Er streckte die Hand nach der Mappe aus. »Da sind Papiere, um die ich mich kümmern muß. Also – Danke für das Gespräch und viel Glück weiterhin. Und denk dran …«
»Ja?«
»Was ich gesagt habe, ist nie gesagt worden. Verstanden?«
»Du wirst dich darauf verlassen müssen, Fanebust. Wiedersehen.«
»Wiedersehen.«
Ehe ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, hörte ich das Kratzen des Federhalters auf dem Papier. Er vergeudete keine Zeit. Und seine Sekreätrin ging nicht verschwenderisch mit ihrem Lächeln um. Sie paßten gut zusammen.
43
Ich aß in der Stadt zu Mittag. Im chinesischen Restaurant mit Aussicht auf den Marktplatz servierten sie großzügige Portionen zu einem erschwinglichen Preis, und die leise, orientalische Musik war nicht zu laut, um sich selbst denken hören zu können. Und ich hatte über vieles nachzudenken. Ich begann, die Konturen eines Musters zu erahnen.
Nach dem Essen ging ich schnell zum Wesenbergssmau und klingelte an der Tür des Hauses, in dem Elise Blom wohnte. Niemand öffnete. Also gab es zwei wahrscheinliche Möglichkeiten. An die dritte wollte ich lieber nicht denken. Zuerst versuchte ich es im Bingo-Lokal.
Ich ging die breite Treppe hinauf, blieb an der Tür stehen und sah mich um. Die Stimmung war dieselbe wie beim letzten Mal: eine konzentrierte, fast untertänige Ergebenheit an die Zahlen, die aus den heiseren Lautsprechern schnarrten. Wieder durchfuhr mich der Gedanke, daß es vielleicht gerade der Mangel an Religiösität in der übrigen Gesellschaft war, der all diese Lokale mit Menschen füllte. Vielleicht befriedigen Rituale und Zahlenmagie des Bingo-Spiels ein tief verwurzeltes Urbedürfnis in den Menschen, die sich ihm zuwandten. Vielleicht waren die grellen Fensterreklamen
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