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Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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die Glasmalereien unserer Zeit, die ewig variierenden Zahlenreihen lateinische Liturgie und die Bingo-Damen die Hohepriesterinnen des zwanzigsten Jahrhunderts.
    Elise Blom war nicht da.
Ich ging wieder hinunter auf die Straße.
    Als ich in das Treppenhaus zum Restaurant kam, in dem wir gewesen waren, war der große, breite Türsteher gerade dabei, eine stark betrunkene Frau hinauszulotsen. Sie waren auf halber Treppe angelangt, und ich blieb stehen und sah sie an.
    Der Türsteher trug eine dieser schmutziggrünen Uniformen, die Türsteher gewöhnlich tragen, wie bei einer Art privater Polizeitruppe. Die Frau trug ein geschmackloses blaurosafarbenes Kleid mit einem merkwürdigen Faltenbesatz über den Schultern. Sie hatte eine dunkle Perücke auf dem Kopf, die aber im Rausch um einen Fingerbreit verrutscht war, und ein paar Strähnen des echten Haares sträubten sich im Nacken hervor. Der Mund war rotbemalt und zerfließend und sie betätigte ihn, um auf den unangefochtenen Türsteher äußerst saftige Schimpfworte abzufeuern. Als es nur noch zwei-drei Treppenstufen waren, riß sie sich plötzlich los, trat über den Absatz und torkelte hinunter zur Tür. Ich trat schnell vor und hielt sie fest.
    Sie landete wie ein Kartoffelsack in meinen Armen, und meine Finger versanken in ihr, als hätten einige der Kartoffeln die Lagerung nicht vertragen.
    Sie blieb in meinen Armen hängen, während sie langsam den Blick sammelte. Sie roch stark nach Bier, und es dauerte ziemlich lange, bis sie mich wiedererkannte. Es war Elise Blom.
    Der Türsteher war schon wieder auf dem Weg die Treppe hinauf, als nähme er an, daß ich von nun an die Verantwortung für sie übernähme. Er sah sich nicht einmal um.
    Nachdem sie endlich ihren Blick konzentriert hatte, versuchte sie das Gleiche mit der Stimme. Das zerfließende Gesicht zeugte von einem steigenden Grad des Wiedererkennens, und ich spürte, wie sie versuchte, wieder standfest zu werden und nicht mehr von mir abhängig zu sein, um sich aufrecht zu halten. Ihre Stimme kam stolpernd aus der Tiefe: »Ve – um?«
    Ich nickte.
»Du verdammtes Schwein!«
»Das hört sich an, als käm’s direkt von Herzen.«
Sie verzog den Mund. »Das kommt direkt aus’m Arsch!« »Das meinte ich doch. Manche haben es da.«
Sie sah dämmrig zu mir auf. »Was willst du jetzt wieder? Hast
    du nich genug angerichtet? All diese – all diese Schweinereien über Harald zu erzählen. Das waren nur Lügen, alles, was du behauptet hast, daß er getan hat, im Krieg. So einer war er nich.«
    »Vielleicht nicht«, sagte ich. »Da war nur etwas, wonach ich dich noch fragen wollte. Du wirst Hilfe brauchen, jedenfalls, wenn du nach Hause willst. Laß uns eine Abmachung treffen. Ich bringe dich nach Hause, und unterwegs antwortest du auf meine Fragen.«
    Sie sah mich mißtrauisch an. »Und worum soll es gehen? Bei den Fragen?«
»Geld.«
Sie sah noch mißtrauischer aus. »Geld? Ich hab kein Geld.«
»Nein«, sagte ich leichthin und öffnete die Tür zur Straße. »Aber 1955 …«
Sie griff um meinen Arm und stolperte mit mir auf den Gehsteig hinaus.
»1955 hattest du Geld.«
»Wieso?«
»Du hast ein Haus gekauft. Direkt vom Job als jüngst Bürodame zur Hausbesitzerin. Wie hast du das geschafft?«
»Wie hast du das geschafft?« äffte sie mich nach und peilte die nächste Ecke an. Sie mußte sich gegen die Wand stützen und nach ein paar Schritten blieb sie stehen. Der Kopf wackelte, der Blick fuhr auf und nieder. Es war deutlich, daß ihr schwindelig war, und ich trat dicht an sie heran, den Arm klar, um sie zu stützen. Sie griff um meinen Ellbogen und zog mich mit vorwärts.
»Und deine Kollegin, Fräulein Pedersen. Die konnte es sich plötzlich leisten, sich in Spanien niederzulassen. Vor der Pensionierung.«
Sie ging weiter, klammerte sich aber jetzt an meinen Arm. Wir bogen um die Ecke und peilten uns in Richtung Torg ein. Ihr Blick klarte ein wenig auf. Es hatte ihr gut getan, an die frische Luft zu kommen. »Sie hatte gespart«, sagte sie mürrisch.
»So viel?«
Sie antwortete nicht. Wir überquerten die Strandgate, und als wir zum Strandkai kamen, schlug uns eine befreiende Brise entgegen. Der Marktplatz war saubergespült und naß. An manchen Stellen spiegelten wir uns in den Pfützen: zwei seltsame, verzerrte Figuren, aus der Froschperspektive gesehen.
Ich sagte: »Zwei Bürodamen, beide in einem Betrieb angestellt, der dann abbrannte – einige behaupten, weil die Leitung nicht auf die Warnungen hörte,

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