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Im Dutzend phantastischer

Im Dutzend phantastischer

Titel: Im Dutzend phantastischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Rensmann
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dieses Raumes, der mit zahlreichen, hell erleuchteten Fackeln versehen war, die ausreichend Licht spendeten. Hier musste ein Teil der Bibliothek gewesen sein. Ringsherum standen Regale, bestückt mit Büchern, deren Geschichten von dicken Ledereinbänden geschützt wurden.
    Woher kamen diese Fackeln? Wer hatte sie entzündet? Irgendwer musste hier sein. Sie fröstelte. Langsam ging sie tiefer in den Raum hinein. Dann vernahm sie eine Stimme.
    »Bitte geh nicht weiter, schöne Frau, du würdest dich nur erschrecken. Ich hause schon so lange hier unten, dass mein Anblick deines Blickes nicht würdig ist.«
    Die Stimme klang nicht unangenehm, alt und krächzend hätte sie auch von einem alten Papagei stammen können. Doch es war eine Frau, die zu Mary sprach.
    »Wo sind Sie?«
    »Das ist nicht wichtig. Interessanter ist es doch, was du hier unten machst. Du bist Mary, nicht wahr?«
    »Woher weißt du das?«
    »Das hat mir jemand geflüstert!«, krächzte die Alte aus der dunklen Ecke.
    Wieder fror Mary und sie wünschte sich, John wäre bei ihr. Zumindest der John, der er war, bevor sie geheiratet hatten.
    »Setz dich hin, Mädchen, dann werde ich dir sagen, was du hören möchtest!«
    Mary schaute sich im Halbdunkel um, ging ein paar Schritte zurück und setzte sich auf einen alten Tisch. Mary wusste nicht, was diese Frau ihr sagen wollte. Sie wusste nichts mehr, seit John verschwunden war.
    »Gut so«, hörte sie die Stimme sagen. »Nun hör zu, ich rede bis meine Stimme versagt, denn sie ist an lange Erzählungen nicht mehr gewöhnt.«
    Mary nickte und starrte mit großen Augen in die Dunkelheit, in der sie die geheimnisvolle Frau vermutete.
    »Du bist gekommen, um eine Antwort zu erhalten, eine Antwort darauf, warum sich dein Gatte so veränderte.« Die Alte schwieg einen Moment und schmatzte laut, als müsste sie ihre Lippen befeuchten.
    »Das Geheimnis liegt in der Burg. Vor vielen hundert Jahren regierte hier eine liebe, friedliche Familie, die Galligans. Sie waren sehr beliebt, weil sie gut und menschlich waren. Niemand hungerte oder litt unter ihrer Macht. Es herrschte Frieden. Besonders taten sich die jungen Galligans hervor. Der junge Sohn David und seine Frau Sahira. Sie war eine bezaubernde Maid aus dem Volke. Dies störte weiter niemanden, schließlich war es die Liebe, die beide miteinander verband. Ein Band, welches so stark gewesen sein muss wie Stahl, doch so zärtlich wie eine Feder. Ihre Hochzeit wurde, wie deine, am Fuße des Kindness Stones abgehalten. Dies war für sie ein Ort der Ruhe und Freundschaft. Sie lernten sich dort kennen und lieben und sie küssten sich dort das erste Mal. Es war nicht so romantisch, wie es klingt. Denn die Zwei wollten den damals noch nicht eingezäunten Felsen erklimmen. Das gelang ihnen. Sie beugten sich beide vor, weil sie sich ihren ersten Kuss geben wollten, doch plötzlich rutschte Sahira aus. David verlor das Gleichgewicht und ihre Lippen, vorbereitet auf einen zärtlichen Kuss, fanden nur den kalten Stein. Doch es geschah ihnen nichts und sie lachten über dieses Missgeschick und ihre klopfenden Herzen. Dann küssten sie sich und es war ein langer, liebender und wärmender Kuss, der die Blüten eines Kirschbaumes zum Erblühen hätte bringen können.
    Eines Tages kam Unglück über diese Burg und die hier lebende Familie. Die McCorthys –«
    Mary atmete lautstark ein.
    »Die McCorthys waren habgierig und böse. Sie hatten bereits Burgen erobert ohne auf Verluste zu achten. Sie töteten und nahmen sich das, was sie wollten. Ob sie es benötigten, interessierte sie nicht. Die Burg der Galligans sollte die nächste sein. Sie töteten alle, die auf dieser Burg lebten, außer Sahira. Der Anführer tötete ihren Geliebten vor ihren Augen und erfreute sich an ihren Schreien. Seit diesem Tage hieß die Galligans-Burg nach ihren Eroberern, den McCorthys, bis vor einigen Jahrzehnten ein gütiger Mann kam und der Burg einen freundlichen Namen verlieh. Aber das ist eine andere Geschichte.
    Die McCorthys lebten nicht dort, es ging ihnen lediglich um den Besitz, um den Reichtum.
    Sahira war zu schwach, um Rache zu üben, denn sie war allein und zu sehr in ihre Trauer gehüllt. Viele Wochen lebte sie einsam auf der Burg, strich durch die Räume, und am Ende ihres Rundganges gelangte sie jedes Mal in einen Saal, in dem sie mit aller Kraft die Toten aufgeschichtet hatte, um ihnen   die letzte Ehre zu geben. Dort küsste sie immer wieder ihren geliebten Mann. Sie wünschte

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