Im eigenen Schatten
Leibspeise. Was ist los?«
»Verzeih«, sagte Xenia und schaute kurz auf. »Ich habe einfach keinen Hunger.«
Sie hatte drei Bissen des köstlich duftenden Gerichts gekostet. Dampfend hatte Zeno es als Vorbote des Sommers serviert.
»Wo hast du eigentlich den Tisch her?«
»Aus der Zeitung.«
»Wie teuer?«
»Zwanzig Euro.«
»Dafür musste ich dir also Geld leihen.«
»Dein neues Telefon hat mehr gekostet.«
Xenia war früher als sonst nach Hause gekommen, hatte sich umgezogen und wortlos die Schlüssel des Bootes vom Haken genommen. Um zwanzig Uhr dreißig wollte sie zum Abendessen zurück sein. Wenig später klang vom Meer der anschwellende Lärm des Außenborders herüber. Zeno warf einen besorgten Blick auf den von regenschweren Gewitterwolken verhangenen Himmel, doch beruhigte er sich mit dem Gedanken, dass Xenia genug Erfahrung mit Boot und Meer hatte. Wie immer, wenn sie von der Arbeit angespannt war, durfte man sie nicht ansprechen, solange sie sich nicht Luft gemacht hatte, indem sie endlos auf Punchingball und Sandsack im Garten eindrosch, auf dem Radweg bis zur Punta Sdobba lief oder wie heute raus aufs Meer fuhr, um bis zur Erschöpfung zu schwimmen. Danach besserte sich ihre Laune rasch, und dann fiel sie normalerweise wie ein ausgehungerter Wolf über das Essen her.
Blitze und Donner zerrissen den Himmel über dem Golf, und die ersten schweren Tropfen prasselten gegen die Scheiben, als sie zurückkam. Doch brachte sie den Mund nicht auf, in einem Zug stürzte sie zuerst ein Glas Mineralwasser und danach eines mit Weißwein hinab. Sie reagierte kaum, als er das Essen auf den Tisch stellte. Etwas musste ihr nachhaltig auf den Magen geschlagen sein. Unter dem maroden Fenster nach Süden, woher der Sturm den Regen gegen das Haus trieb, saugte sich langsam ein Handtuch voll.
»Ich muss handeln«, sagte Xenia schließlich und schob den Teller von sich.
Zeno schaute sie fragend an.
»Ich sitze in der Scheiße.«
Seine Augen flackerten kampflustig, als er anhob, etwas zu sagen. Doch sie kam ihm zuvor, als könnte sie Gedanken lesen.
»Keine Sorge, du kannst da schon gar nichts daran ändern. Wie immer habe ich es mir selbst eingebrockt. Ich weiß es selbst: Neugier, Ehrgeiz, Trotz und Stolz sind eine schreckliche Mischung. Aber mit ein bisschen Glück kann ich den Spieß vielleicht noch umdrehen.«
»Welchen Spieß?«, fragte Zeno mit sanfter Stimme.
»Ich muss nochmals los«, sagte Xenia, stand abrupt auf, forderte einen Dienstwagen an und nahm das Gürtelholster mit der Beretta vom Haken.
Es war kein konkreter Anlass gewesen, weshalb sie das Kommissariat am Nachmittag verlassen und sich auf den Scooter gesetzt hatte, um nach ein paar Kilometern bei Spechtenhausers Gehöft von der Landstraße auf den asphaltierten Weg Richtung Fossalon abzubiegen. Zuvor meinte sie noch Laurentis Wagen ausgemacht zu haben, der sich Richtung Monfalcone entfernte und dem ein Motorrad folgte. Hatte sein Gespräch mit den Zwillingen so lange gedauert? Sie schob das Visier ihres Helms nach oben und tuckerte im Schritttempo an unscheinbaren Bauernhöfen vorbei, deren Anfahrten betoniert waren.
Ein wenig weiter war die Straße von Erde, Splitt und Schotter bedeckt, den Fahrzeuge von einem Feldweg herausgetragen hatten. Behutsam umfuhr sie das Hindernis und hielt an. Wäre sie mit dem üblichen Tempo gefahren, hätte sie den Scooter kaum halten können. Sie wählte die Nummer ihrer Dienststelle und gab Anweisung, dass bei der nächsten Fahrt eines Streifenwagens in diese Gegend die Kollegen den Bauer auffordern sollten, die Gefahr zu beseitigen.
Als sie die genaue Position beschrieb, fiel ihr Blick auf eine verwitterte Scheune, die sich ein gutes Stück zurückversetzt zwischen dem nächsten Bauernhof und dem Anwesen des Südtirolers befand. Einer der windschiefen Torflügel war halb geöffnet, ein dunkelblauer Audi stand abseits, und eine viereckige, helle Fläche zeichnete sich in dem Scheunentor ab. Xenia fuhr den Scooter hinter eine Hecke. Gebückt lief sie durch die noch niedrigen Wiesen und Felder aus dem Blickfeld, doch schaffte sie es nicht, sich zu nähern. Ein Lieferwagen mit der Aufschrift von Spechtenhausers Weingut im Collio fuhr heraus und entfernte sich in einer Staubwolke, dicht gefolgt vom blauen Audi. Xenia konnte nur das Kennzeichen des hinteren Wagens erkennen. Sie dachte einen Moment daran, ihnen mit dem Scooter zu folgen, doch bis sie wieder im Sattel säße, wäre der Abstand längst zu
Weitere Kostenlose Bücher