Im eigenen Schatten
groß. Wieder griff sie zum Telefon und fragte das Autokennzeichen in der Zentrale ab. Das Fahrzeug eines multinationalen Autoverleihs. Sie erteilte die Anweisung, bei der Firma die Daten des Mieters zu ermitteln. Dann rannte sie die letzten Meter zu der Scheune hinüber, versteckte sich hinter einem alten Apfelbaum und lauschte. Die Ruhe vor dem Sturm, kein Blatt bewegte sich. Und kein Laut drang aus dem maroden Gebäude heraus. Kommissarin Xenia Ylenia Zannier entsicherte die Waffe und preschte lehrbuchmäßig vor.
Tiefe Reifenspuren mehrerer Fahrzeuge waren das Einzige, was sie in der Scheune fand. Eine halbe Stunde später erfuhr sie, dass der Audi von einer jungen Dame namens Anita Mayr gemietet worden war, ihre Adresse auf dem Personalausweis verwies auf die Gemeinde Tramin bei Bozen, der Führerschein war von der dortigen Behörde ausgestellt. Xenia fuhr zur Dienststelle zurück und suchte auf ihrem überladenen Schreibtisch nach der Meldeliste der Hotels. Und endlich fand sie den Namen auf dem Formular von Robert Unterberger.
»Von deiner Wohnung aus ist Grado selbst während der Sintflut romantisch. Schau dir bloß diese Blitze an«, jubelte Titti.
Sie trug ein knielanges, am Rücken so tief ausgeschnittenes Kleidchen, dass sie unmöglich einen Slip tragen konnte. Sie hielt ein Champagnerglas in der Hand und schaute entzückt durch die Panoramascheibe von Magdalenas Salon im vorletzten Stockwerk des Hotelturms. Einstein hatte den Arm um ihre schmale Hüfte gelegt, seine Hand unter dem dünnen Stoff. Die rote Anita stand neben ihnen, ein enganliegendes Schlauchkleid aus getigertem, elastischem Stoff unterstrich ihre Rundungen, auch ohne ihre High Heels hätte sie alle überragt.
»Begebt euch zu Tisch, die Küche hat angerufen. Das Essen kommt mit dem Aufzug.« Magda trug Haute-Couture-Jeans und eine weiße Bluse.
»Es hat eindeutige Vorzüge, im Hotel zu wohnen. Ich will nie wieder eine eigene Wohnung haben«, seufzte Anita.
Salvatore Cassara und Robert Unterberger hatten vor einer Stunde noch in einer Enoteca auf die erfolgreiche Verladung des zweiten Teils der Beute angestoßen und zwei Magnumflaschen Champagner als Gastgeschenk gekauft. Der Direktor hatte Magdalena Spechtenhauser schon zur Mittagszeit mitgeteilt, dass er und Einstein wegen eines dringenden Termins für ein paar Tage verreisen müssten. Anita und Titti aber blieben und erwarteten sie am Samstag zurück. Magda hatte sie daraufhin spontan für den Abend eingeladen.
Ein Kellner fuhr einen Servierwagen an den Tisch und richtete die Teller an.
»Der Boreto alla gradese ist ein sehr schmackhaftes, traditionelles Gericht, das die Fischer in der Lagune früher zu Hause zubereitet haben«, sagte Magda. »Die besten Fische haben sie verkauft und die weniger geschätzten haben sie selbst gegessen.«
»Erinnerst du dich noch, wie dein Vater mich damals zur Sau gemacht hat, als er uns auf die Schliche gekommen ist?«
»Und wie! Mir hat er zwei Wochen Hausarrest verhängt. Dabei hatte ich mich über beide Ohren in dich verliebt. Es hat weiß Gott hübschere Kerle als dich gegeben, aber keiner war so verrückt.«
»Hübschere als mich? Anita, lass dir das nicht gefallen«, rief Unterberger lachend seiner Freundin zu.
Das Klingeln von Einsteins Mobiltelefon unterbrach sie. Cassara warf einen Blick aufs Display, stand auf und entfernte sich, bevor er sich meldete. Das Gespräch dauerte keine zwanzig Sekunden. Einstein beschloss es mit einem kurzen »okay«. Dann kam er an den Tisch zurück. »Die Post ist angekommen.«
Unterberger nickte zufrieden und nahm sogleich wieder den Faden des Gesprächs auf. »Magdas Vater ist damals jede Woche nach Bozen gekommen, um nach dem Rechten zu sehen. Seine Töchter hatte er dort auf ein italienischsprachiges, katholisches Mädcheninternat geschickt. Wenn er gewusst hätte, was die getrieben haben!«
»Papa hat immer über alles Bescheid gewusst, was Trudi und ich angestellt haben.«
»Dabei war das eine echte Schlampenschule, ich sag’s euch. Unter den Fenstern haben sich nachts alle rolligen Kater der Gegend versammelt.«
»Bis er die Überwachungskameras spendiert hat, die an der Fassade angebracht wurden«, gab Magda zu. »Aber dich hat er dann immerhin beim Studium unterstützt, wo du Galimberti kennengelernt hast.«
»Der hatte einen Assistenzjob und musste die meiste Zeit unseren stinkfaulen Prof vertreten. Aber als Strafrechtler ist er nicht schlecht. Leider gibt er keinen
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