Im eigenen Schatten
Koch hatte er sich entschieden, ohne vorher den Familienrat zu konsultieren.
»Oder ich eröffne eine Suppenküche in der Stadt.«
»In Zeiten der Krise? Ob das eine gute Idee ist, wage ich zu bezweifeln. Die Leute halten ihr Geld zusammen.« Galvano sprach fast großväterlich besorgt, seinen sonst üblichen Zynismus ersparte er nur Laurentis Sohn.
»Dann werde ich eben Bankräuber. Das ist gut für die Konjunktur, damit kommt Kapital in Umlauf, das sonst nur auf der Bank liegt und nicht ausgegeben wird.«
»Und ich werde dich dann einlochen«, sagte Laurenti.
»Du kriegst mich nie«, ätzte sein Sohn.
»Das glaube ich auch«, sagte Galvano. »Diesen Commissario muss man wie einen Hund zum Jagen tragen. Nicht einmal diese Goldräuber kriegt er zu fassen.«
»Und was hast du vor, Livia?« Flavia mischte sich ins Gespräch. »Deine Mutter hat gesagt, du willst auch weg? Dann wird das ja ein schrecklich stilles Haus.«
»Ich habe die Zusage einer großen Anwaltskanzlei in Frankfurt, die auf deutsch-italienischen Rechtsverkehr spezialisiert ist. Arbeit im Sekretariat ist besser, als hier immer nur von einem befristeten Aushilfsjob in den anderen zu rutschen.«
Proteo Laurenti warf seiner Frau einen vorwurfsvollen Blick zu. Wie immer wurden Entscheidungen hinter seinem Rücken getroffen. Laura antwortete ihm mit einem schuldbewussten Lächeln.
»Patrizia hat heute ein Mail geschickt«, berichtete sie. »Das Schiff liegt für zwei Tage in Hongkong, und sie ist begeistert von der Stadt und vom Essen. Die Kleine war krank, doch ein Wunderdoktor hat sie rasch wieder geheilt.«
»Ist doch klar bei dem, was bei den Chinesen auf den Tisch kommt. Ich war immer gegen diese Reise«, sagte die Signora Camilla. »Seien Sie bloß froh, Dottore, dass Raissa Russin ist, sonst hätte sie Ihnen den schwarzen Hund längst als Ragout serviert.«
»Die Geschenke«, mehrten sich die Rufe von Lauras Freundinnen. »Du musst jetzt die Geschenke auspacken.«
Marco und Livia verzogen sich in die Küche, während die Geburtstagsgesellschaft sich erhob und auf Sofas und Sesseln niederließ.
»Wir rauchen erst einmal in aller Ruhe eine Tüte«, sagte Marco zu seiner Schwester und schloss die Küchentür. »Aufräumen können wir später.«
Nur Proteo wurde zweimal durch sein vibrierendes Mobiltelefon aus dem Geschehen gerissen: Gegen eins erreichte ihn ein Anruf aus dem Kommissariat, und nach zwei Uhr, als die letzten Gäste sich verabschiedeten, erhielt er eine SMS. Xenias Nachricht war nur ein Wort lang.
Živa Ravno hatte sich mit dem Dienstwagen nach Istrien fahren lassen. Ein Begleitfahrzeug des Personenschutzes eskortierte sie. Der Montag war hektisch verlaufen, nachdem sie, viel später als sonst, erst kurz vor zehn Uhr ihr Büro betreten hatte. Entgegen den Regeln war sie selbst in die Stadt gefahren und hatte sich an der Grenze nicht vom Begleitschutz abholen lassen, was ihr von Goran Ivanić, ihrem engsten Mitarbeiter, eine Rüge eintrug. Als einer der wenigen konnte er sich erlauben, die Generalstaatsanwältin zu kritisieren.
Der gebürtige Dalmatier hatte wie Živa in München und Zagreb studiert und war zwei Jahre jünger als sie. Als Studenten hatten sie ein kurzes Verhältnis gehabt, doch keiner der beiden hatte in jenen Jahren viel von Treue gehalten. Dennoch heiratete Goran kurz vor dem zweiten Staatsexamen eine niederbayrische Bierbrauertochter aus Passau und wurde acht Wochen nach der Trauung Vater. Die Ehe hielt nicht lange. Živa hatte bei den Gesprächen um ihre Beförderung verlangt, Ivanić in die Behörde mitzunehmen. Ihn von der Staatsanwaltschaft Split wegzulocken, war leicht gewesen. Man hatte ihn einige Jahre zuvor kaltgestellt, weil er seine Nase zu tief in die Immobiliengeschäfte des Erzbischofs gesteckt hatte. An Živas Seite rückte auch er wieder ins Rampenlicht.
Goran Ivanić war an diesem Tag ins Schwitzen gekommen. Die Unterredung mit Živa Ravno hatte nur eine Viertelstunde gedauert. Der diplomatische Druck aus Rom musste die Dinge in Bewegung gebracht haben. Bereits zur Mittagszeit war eine Einheit der Finanzbehörde aus Rijeka, mit einem Durchsuchungsbefehl ausgestattet und begleitet von bewaffneten Polizisten in Kampfanzügen, bei der Aurum d.o.o. in Vodnjan vorgefahren. Ivanić koordinierte die Aktion von Zagreb aus und hatte für seine Chefin den Ablauf zusammengefasst.
Die Limousinen bretterten mit Blaulicht über die Autobahn nach Rijeka und von dort über die Schnellstraße weiter
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