Im eigenen Schatten
er, Violinist im Orchester des Teatro Verdi, und vom ersten Tag an schlief er bei uns. Dreieinhalb Monate lang führte er sich auf, als wäre er Nicolò Paganini in Person und ließ sich nach Strich und Faden bedienen. Meine Mutter wurde beinahe verrückt, denn er behandelte sie so rotzig, als gehörte er zur Familie. Er gab ihr die Wäsche zum Waschen und verlangte, seine Hemden sorgfältiger als die der anderen zu bügeln. Auf die Idee, ihr einmal einen Strauß Blumen zu schenken, kam er aber nie. Wenn ihr wüsstet, was ich mir anhören musste.«
»Ich versteh dich nicht, Patrizia war in dieser Zeit doch außergewöhnlich fröhlich«, widersprach Proteo Laurenti.
»Kaum näherte sich Gigis Schiff dem Heimathafen, hat sie dem Geiger den Laufpass gegeben.«
»Endlich mal eine, die weiß, was wahre Treue bedeutet«, sagte Xenia. »Und dann, so nehme ich an, hat sie Gigi wieder die Stange gehalten. Wie hieß der Nächste? Wenn ich mich nicht verzählt habe, fehlt noch einer.«
»Guglielmo.« Laurenti lachte. »Den hat Patrizia ziemlich zackig zum Teufel geschickt, als sie dahinterkam, dass er noch eine andere hatte. Das Geschrei hättet ihr hören sollen, mit dem sie morgens um drei das ganze Haus aus den Federn holte.« Er klopfte sich vor Vergnügen auf die Schenkel. »Der Trottel hat allen Ernstes behauptet, er sei bis in die finstersten Ecken seiner Seele treu und könne sie niemals betrügen.«
»Lassen wir das«, winkte Laura unwirsch ab. »Auf jeden Fall folgten zwei weitere idyllische Monate mit Gigi, bis sie uns vor vollendete Tatsachen stellte. Ihren Job hatte sie bereits gekündigt.«
»Vollendete Tatsachen würde ich das nicht nennen. Sie hatte seit Wochen über ihren Plan gesprochen. Es ist nur gut, wenn sie etwas von der Welt sieht. Und deine Mutter ist auch entlastet. Aber wie sind wir denn auf dieses Thema gekommen?«
»Auf jeden Fall habt ihr meinen Geburtstag verpasst …« Xenia drosselte den Motor und ließ das Boot zum Anleger gleiten.
»Meiner ist übermorgen«, sagte Laura, »und ich gehe jede Wette ein, Proteo vergisst ihn auch dieses Mal.«
Die Dämmerung war übers Land gesunken, als sie über den Sandstrand zurück zum Haus gingen. Die junge Polizistin und der Mittelschullehrer mit befristetem Arbeitsvertrag hatten es vor einem Jahr gemietet und im Garten Gemüsebeete angelegt. Unter einer alten Linde hing ein Moskitonetz über einem wurmstichigen Doppelbett aus Eichenholz, das die beiden für wenig Geld auf dem Flohmarkt ergattert hatten. Im Lichtschein der flackernden Fackeln sah es besonders romantisch aus. In einer Ecke des Gartens stand ein von Zeno selbstgemauerter Grill, in dem während ihres Ausflugs das Feuer aus Olivenholz niedergebrannt war und eine schöne Glut bildete.
Zeno tischte zuerst rohe Telline auf, kleine Muscheln mit glattem, weißem, fast dreieckigem Gehäuse und schmackhaftem, zartem Fleisch. Proteo und Laura hatten eine Kiste Weißwein vom Karst mitgebracht. Während die Fische auf dem Grill brutzelten, servierte Zeno eine Pasta mit Telline, fein gehacktem Knoblauch, Petersilie und einem Hauch frischer Peperoncini. Laura war begeistert und ließ sich beschreiben, wie er die handgemachten Nudeln zubereitete, wozu sie selbst viel zu ungeduldig war. Und während er die Fische auftrug, schimpfte Zeno über das Essen in der Schulkantine, weil die Schüler fast alle viel zu dick waren. Der Fraß würde ihm wenigstens nicht fehlen, falls er im nächsten Schuljahr dort keine Anstellung mehr fände.
Nachdem sie die köstlichen Fische verspeist hatten, konnte Xenia es sich doch nicht verkneifen, nach Proteos Gespräch mit Spechtenhausers Geschäftspartner zu fragen. Laura protestierte, doch Laurenti versprach, dass die Geschichte nicht viel mit dem üblichen Polizeialltag zu tun und selbst ihn ziemlich verblüfft habe.
Die Morgensonne gewann rasch an Kraft, während die beiden Männer fast wie alte Freunde am Pool saßen.
»Sehen Sie, Laurenti, sie sind trotz Ihres Berufs ein dem Leben zugewandter Mensch. Deswegen spreche ich gerne mit Ihnen, auch wenn es sich um eine tieftraurige Angelegenheit handelt, in der ich Ihnen zu meinem absoluten Bedauern vermutlich nicht im Geringsten helfen kann. Sie, Commissario, haben Familie, was mir versagt geblieben ist, übrigens weder aus biologischen Gründen noch weil ich anders gepolt wäre. Es gibt noch immer genügend junge Damen, die mich meines Geldes wegen herausfordern, und nicht alle Angebote schlage ich aus. Doch
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