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Im eigenen Schatten

Im eigenen Schatten

Titel: Im eigenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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Kinder will ich mit keiner von ihnen. Meine Gattin verstarb sehr früh. Sie hatte den Wunsch nach einer riesigen Familie, ich auch. Und dann diagnostizierte man diese verdammte Krankheit erst, als es bereits zu spät war. Ich hätte es als Verrat empfunden, mit einer anderen Frau eine Familie zu gründen. So wurde die von Franz zu meiner. Ich bin der Patenonkel der Zwillinge, und zu den beiden Mädchen habe ich trotz des Zerwürfnisses mit Spechtenhauser immer einen von väterlicher Liebe geprägten Kontakt gehalten. Bis heute. Gertraud und Magdalena fragen mich bei allem um Rat. Der Zuspruch dieser hübschen Gören gibt auch mir Kraft. Ihre Vornamen habe übrigens ich einst vorgeschlagen; in meinem Heimatdorf Bad Dreikirchen ist den beiden Heiligen je eine Kapelle geweiht. Es hatte freilich seine Gründe, dass die Eltern sie akzeptierten. 1976, als sie geboren wurden, hatte Franz ernste juristische Probleme im Ausland und fühlte sich auch persönlich nicht mehr sicher. Ich bin eine Bürgschaft für die Mädchen eingegangen und hätte zeitlebens für sie eingestanden, wenn ihrem Vater etwas zugestoßen wäre. Und wenn der Tag kommt, werden sie auch mich beerben. Obgleich sie es heute nicht mehr brauchen. Aber so bleibt die Firma, unser Lebenswerk, in einer Hand.«
    »Welche Probleme?« Laurenti hatte die Hand gehoben, um den Redefluss Mosers zu unterbrechen.
    »Fragen Sie ruhig, Commissario, wenn sie etwas nicht verstehen. Sie sollen wissen, wer Franz war. Es wird Ihre Arbeit erleichtern.« Moser lachte kurz auf. »Vielleicht auch verkomplizieren, falls die Erinnerung mit mir durchgeht. Sparen Sie sich das Wühlen im Archiv, in Italien hatte er keine Probleme. Spechtenhauser hat in den siebziger Jahren Medikamente in großem Stil nach Jugoslawien exportiert. Er pflegte beste Verbindungen zu einem hohen Parteibonzen des Tito-Regimes, der ordentlich mitverdiente und in die Schweiz floh, als der Fall hochging. Doch was ist passiert? Medizin, deren Haltbarkeitsdatum längst überschritten war. Franz nahm sie von Pharmakonzernen und Großhändlern tonnenweise fast zum Nulltarif ab und verschacherte das Zeug mithilfe seiner Verbindungen an den Staatshandelskonzern Progress nach Jugoslawien. Veraltet, schädlich, giftig. Wer Glück hatte, starb schnell, andere leiden bis heute an den Folgeschäden. Ein Akt der Wohltätigkeit, Laurenti. So hat er es dargestellt und sich hemmungslos daran bereichert.«
    Moser war aufgebracht. Er hatte sich in seinem Sessel aufgerichtet, sein Gesichtsausdruck war angespannt, das linke Auge fixierte hart den Polizisten. Als er bemerkte, dass er für einen Augenblick die Fassung verloren hatte, entfuhr ihm ein kaum hörbares Seufzen, dann sprach er mit ruhiger Stimme weiter.
    »Unbrauchbare und höchst gefährliche Medikamente in ein bedürftiges Land liefern, das von korrupten Parteibonzen beherrscht wird. Abkassieren, Verbindungsleute schmieren und sich einen feuchten Kehricht um die Tragweite der eigenen Handlung kümmern. Spechtenhauser bekam ganz einfach den Hals nicht voll. Er wurde in Jugoslawien in Abwesenhenheit zu zehn Jahren verurteilt, doch seine Geschäfte liefen weiter. Abgesessen hat er natürlich keinen einzigen Tag, denn es ist ja da drüben passiert.« Moser machte eine unwirsche Handbewegung Richtung Osten. »Feindliches Ausland. Kommunisten. Tito. Ein Jahr zuvor, 1975, war der Vertrag von Osimo unterzeichnet worden, mit dem Italien und Jugoslawien offiziell die Grenzziehung nach dem Zweiten Weltkrieg besiegelten, obgleich sie seit Jahrzehnten harte Realität war. Dieser Schlussstrich war ein gefundenes Fressen für Nationalisten, Rassisten und Extremisten, Kommunisten, Faschisten und Neofaschisten. Ein paar Jugos zu vergiften, wurde hier kaum als Delikt angesehen, und darüber berichtet hat auch niemand. Spechtenhauser war fein raus. Ich aber wollte mit all diesen Dingen nichts zu tun haben. Man hängt viel zu schnell mit drin. Das war der Moment, in dem unser Verhältnis sich änderte. Vor bald fünfunddreißig Jahren haben sich unsere Wege außerhalb der Sonar getrennt.«
    »Trotzdem wurden Sie der Patenonkel der Zwillinge.«
    Moser winkte der Asiatin, die in diskretem Abstand gewartet hatte, bis die Herren den Tee getrunken hatten, um dann ein opulentes Frühstück aufzutragen und den Espresso zu servieren. Eine riesige Schüssel mit frischen Erdbeeren und ersten Aprikosen thronte in der Mitte des Tisches, Platten von Südtiroler Speck, Bergkäse, Rührei mit

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