Im eigenen Schatten
Die letzten Idealisten, die noch vom Schutz der Privatsphäre faselten, waren untergegangen wie die Titanic und wollten es noch immer nicht wahrhaben.
»Immerhin ist es dem Vatikan gelungen, die Hackerangriffe dank unserer Hilfe zu vereiteln. Es geht um Betriebsgeheimnisse, Staatsgeheimnisse. Nennen Sie es, wie Sie wollen, Commissario.« Mosers Redefreude setzte an diesem Punkt einen Augenblick aus. »Ein delikates Geschäft im Dienst der öffentlichen Sicherheit. In stürmischen Zeiten wie diesen ist Stabilität ein hohes Gut.«
»Auch C4-Sprengstoff wird von Regierungen eingesetzt, Professore.«
»Und auch von Terroristen oder Mafiosi.«
»Es wird mir also kaum erspart bleiben, Spechtenhausers Firmen einzeln zu durchleuchten, um ein Motiv zu finden.«
»Viel Vergnügen. Da brauchen Sie einige Mitarbeiter.«
»Die bezahlt der Steuerzahler, Moser. Staatsanwaltschaft und Polizei arbeiten im öffentlichen Interesse und sind Garanten der Demokratie. Doch was ist eigentlich mit Spechtenhausers Sohn?«
»Nikolaus? Nein, der bringt so etwas nicht zustande.« Der Spaltkopf entspannte sich wieder. »Er ist falsch auf dieser Welt. Niemand versteht ihn. Wie ich bereits angedeutet habe, ist er ein begnadeter Maler, aber seit er 28 ist, hat niemand mehr ein Gemälde von ihm gesehen. Damals hat er versucht, Hand an sich zu legen. Heute malt er wie ein Besessener, sobald jedoch ein Werk vollendet ist, betrinkt er sich oder kokst sich zu und übergibt es den Flammen. Seine andere große Begabung ist die Musik, er komponiert, doch zeichnet er nichts auf. Und selbst das Meraner Aluna-Quartett hat ihn rausgeworfen, weil er die Musiker in den Wahnsinn trieb. Nick will vergessen, und darin ist er bis zur Selbstzerstörung exzellent.«
»Wirklich eine harmonische Familie, diese Spechtenhausers.«
Triest war seit jeher ein neurotisches Inferno, von dem aus sich die Psychoanalyse Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts auch nach Italien verbreitete. Kontrastreich, widersprüchlich, komplex war diese Stadt, voller Erwartungen und Enttäuschungen durch falsche Glücksversprechen kommerzieller Art oder mit nationalistischem Hintergrund. Und später sollte die von hier ausgehende Reformpsychiatrie in ganz Europa zur Abschaffung der Irrenhäuser führen, in denen die Insassen wie Vieh gehalten worden waren. Doch die Situation in Südtirol schien kaum weniger komplex zu sein. Wieder hörte Laurenti die Glocken von Repen zur vollen Stunde, dieses Mal zählte er sieben Schläge.
»Nikolaus tut mir leid.« Moser hatte die Stimme gesenkt und sich zu ihm hinübergebeugt. Sein fester Griff umfasste den Unterarm des Commissario, als wollte er ihn abführen. »Er ist sehr sensibel. Mit den Geschäftsmethoden seines Vaters ist auch er nicht zurechtgekommen. Nachdem Franz der Familie von Nicks bestem Freund den Hof samt Ländereien abgenommen hatte, weil sie ihre Schulden bei ihm nicht mehr begleichen konnte, hat er kein Wort mehr mit ihm geredet. Der Junge hat das nicht verkraftet. Mit zwei Röhrchen Schlaftabletten hat er versucht, sich aus dem Staub zu machen. Doch Donna Rita hat ihn rechtzeitig gefunden. Mich wundert, dass er überhaupt zur Beerdigung gekommen ist. Wahrscheinlich hat seine Mutter ihn dazu überredet. Sie ist eine sehr starke Frau, und ihrem Mann blieb sie stets verbunden. Sie unterstützte ihn sogar, als er sie verließ, um in Triest ein neues Leben zu beginnen. Und sie hat ihm zu seiner zweiten Ehe geraten, wenn nicht sogar dazu gedrängt – mit der Frau, mit der Franz sie einst betrogen hatte. Rita ist seine wirkliche Verbündete. Ohne ihr Mitwirken hätte er sein Imperium schwerlich so auszubauen vermocht. Sein grenzenloses Vertrauen zeigt sich auch darin, dass er ihr den Vorsitz der Spechtenhauser Capital, der Familienholding, übertragen hat, und da reden wir über ein wirklich enormes Vermögen. Ich befürchte, Sie werden sich die Zähne an ihr ausbeißen.«
»Wollen Sie sagen, dass Spechtenhauser professionell Geld verliehen hat? Wucher?«
»Das ist zu einfach, Commissario. So billig kommen Sie nicht zu einem Tatmotiv.«
»Eine Menge Immobilien hat er besessen, zu denen er auf die immer gleiche Art gekommen ist«, erzählte Laurenti beim Dessert. »Wenn einer seiner Schuldner mit den Ratenzahlungen nicht mehr nachkam, übernahm Spechtenhauser dessen Eigentum. Sein Trick war einfach: Der Südtiroler Geschäftsmann verlangte keine Wucherzinsen von Menschen mit Liquiditätsproblemen. Er sprang äußerst zuvorkommend
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