Im eigenen Schatten
Steuerhinterziehung fehlten ihnen die Mittel. Delikte von Menschen, die bei den Ermittlern manchmal auf Mitgefühl stießen, Alltag einer gesunden Nation. Der perfekt inszenierte Überfall auf der A4 nötigte den Beamten dagegen Respekt ab.
Die konzentrierte Ruhe im Hangar dauerte vier Stunden, bis die Aufmerksamkeit der Kollegen von den zunehmend lauter werdenden Kommentaren aus der Ecke der Beamten vor den Monitoren angezogen wurde. Immer wieder liefen die Bilder der Kameras am Flughafen ab und wurden anhand der Passagierlisten mit den Datenbanken der Behörden gegengecheckt. Dann wurden die aufgeregten Gespräche in der Computerecke noch vom Lärm der Laserdrucker verstärkt, und die Polizisten konnten kaum erwarten, bis die Geräte die noch warmen Blätter ausspuckten.
Zweiundsiebzig Passagiere waren auf die Turboprop ATR 72 von Air Dolomiti nach München gebucht gewesen und alle hatten, angeschnallt in den bequemen moosgrünen Ledersesseln, ihren Flug angetreten. An der kahlen Wand aus Stahlbeton klebten die frisch ausgedruckten Fotos und Lebensläufe von fünf Reisenden. Die Kollegen bildeten einen Halbkreis und kommentierten sie aufgeregt, bis der Ermittlungsrichter Einhalt gebot.
»Wir sind hier doch nicht im Spielcasino. Ruhe bitte.« Malannino, der massige Mann mit dem riesigen Schnauzbart, trat zu der Polizistin nach vorne, der die Gruppe an den Bildschirmen unterstand. »Würden Sie die Freundlichkeit haben, auch uns einzuweihen?«
»Fünf Gesichter, fünf Leben, Capo«, sagte die spindeldürre, kleine Frau mit fahlem Teint und ersten grauen Haaren, deren Uniform zwei Nummern zu groß geraten schien. Trotz ihrer Anspannung sprach sie leise, doch in der aufmerksamen Stille war ihre Stimme klar vernehmbar. »Viel Erfahrung, und alle in derselben Maschine. Lesen Sie selbst. Das ist kein Zufall.«
»Mimmo Oberdan.« Der oberste Ermittlungsrichter las den Namen vor. »Arcangelo genannt. Gebürtig und wohnhaft in Triest, zweiundfünfzig Jahre alt, Vorstrafen wegen Diebstahl, Betrug, Unterschlagung, Körperverletzung. Strafvollzug im Triestiner Coroneo, in San Vittore, danach Padua, Poggibonsi, Tolmezzo. Der Mann hat einiges von der Welt gesehen. Respekt, Kollegin.«
Die Polizistin nahm das nächste Blatt von der Wand, bevor der mächtige Mann es greifen konnte, hielt es hoch, und verkündete selbst, dass es sich um Johann Pixner handelte, der seinen Personalausweis auf dem Flughafen verloren hatte. Auch seine Biografie wies als letzten Wohnsitz die Justizvollzugsanstalt in Tolmezzo aus. Über Beppe und Pek gab es weniger zu sagen: ein paar Diebstähle, Schlägereien – junge Kerle, die sich in der globalisierten Welt ohne Erfolg zu behaupten suchten. Doch alle hatten ihre Strafe im gleichen Knast abgesessen, wenn auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Immerhin ein Anhaltspunkt. Über Tomaž Novak lag in Italien nichts vor. Allerdings war auf den Videoaufnahmen aus der Abflughalle zu sehen, dass er sich länger und durchaus vertraut mit Mimmo Oberdan unterhielt. Zufällige Begegnung oder alte Bekanntschaft?
»Und die anderen?« Ganz ohne zeremonielles Vorgesetztengemecker kam der Ermittlungsrichter doch nicht aus. Seine anschließenden Anweisungen erfolgten prompt und mit bestechender Klarheit. »Es müssen mindestens doppelt so viele am Überfall beteiligt gewesen sein. Geben Sie sich Mühe. Ich will, dass jedes einzelne Gesicht der Passagiere mit unserer Database abgeglichen wird. Das Flughafenpersonal kann gut gefälschte Papiere nicht erkennen. Und stellen Sie bei den slowenischen Kollegen eine Anfrage über diesen Tomaž.«
Haftbefehle wurden ausgesprochen, die Gesuchten zur Fahndung bei Interpol ausgeschrieben und die deutschen Behörden direkt mit dem nötigen Material versorgt. Dennoch, so unterstrich der große Boss, sollten mit nicht minderer Aufmerksamkeit auch die Passagierlisten der restlichen Flüge durchgegangen und die peniblen Personenkontrollen in der ganzen Region noch verstärkt werden. Die Bande, die einen solchen Coup landen konnte, war dreist – und München verdammt nah.
Das Büro des Staatsanwalts lag im zweiten Stock des neoklassizistischen Gerichtspalasts, in dem täglich über tausend Menschen beschäftigt waren und der wohl das Gebäude mit dem stärksten Publikumsverkehr der Stadt war; mehr als Rathaus und der Dom von San Giusto zusammen aufbrachten. Am Samstagmorgen aber gab es kein Gedränge am Eingang. Proteo Laurenti zog den Dienstausweis hervor und legte seine
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