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Im eigenen Schatten

Im eigenen Schatten

Titel: Im eigenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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freigegeben, nachdem er schon bald den einst mit stolzgeschwellter Brust geleisteten Treueschwur auf das Großdeutsche Reich nicht mehr respektierte. Er hatte verstanden, dass sie mit ihrem dumpfen, rassistischen Gegröle nur um sich selbst kreisten und keinen Schritt nach vorne machten. Diese Entscheidung hatte er Senator Spechtenhauser, der damals vielen dieser Gruppen unterm Tisch Geld zusteckte, um sich Wählerstimmen zu sichern, geradewegs ins Gesicht gesagt, was den Alten zu seinem Erstaunen jedoch nicht gegen ihn aufbrachte. »Dann pass auf, dass deine ehemaligen Kameraden dir nicht die Eier abschneiden, und schreib dich in Trient an der Universität ein«, hatte der Senator befohlen. »In Jurisprudenz, damit du später unsere Sache verteidigen kannst. Intelligent genug bist du, wir brauchen clevere Leute. Wenn du finanzielle Hilfe benötigst, wende dich an mich. Aber unter einer Bedingung: Lass deine Griffel von meinen Töchtern.«
    Unterberger war vierundzwanzig gewesen und Magdalena, eine der Zwillingstöchter des Senators, erst siebzehn, als er sie in einer rustikalen Diskothek in der Pustertaler Gemeinde Sand in Taufers abgeschleppt hatte. Nach wenigen Tagen war der alte Spechtenhauser bereits im Bilde gewesen über die Eskapade seiner Tochter, die er in Südtirol aufs Internat geschickt hatte. Er unterband die Geschichte sofort, doch den Kontakt hatten die beiden nie restlos verloren. Und ein paar Tage vor seiner Entlassung hatte Unterberger von Magda einen Brief erhalten. Seinen Entschluss, sich irgendwann, wenn er endlich einmal wieder zu Geld gekommen war, in ihrem Hotel in Grado einzubuchen, hatte er bereits bei der Lektüre ihrer belanglosen Worte gefasst, mit denen sie die viele Arbeit während der Badesaison beschrieb. Vor fast genau einem Jahr.
     
    An der Haltestelle Nordfriedhof wartete ein Taxi auf Johann Pixner, das er erst bestieg, nachdem er auf der Straße hinter dem Flughafenbus kein verdächtiges Fahrzeug ausmachen konnte. Die Bullen hatte er fürs Erste abgehängt.
    »Rosenheim, Stadtmitte, bitte«, sagte er knapp.
    Der erste Ortsname, der ihm einfiel. Weit genug von München entfernt, und wo er zur Weiterreise ein anderes Taxi nehmen würde.
    »Barzahler? Ich nehme keine Kreditkarten.« Der Fahrer warf einen skeptischen Blick in den Rückspiegel.
    »Kein Problem.«
    »Und wohin genau?«
    »Rathaus.«
    Jo kannte sich nicht in der Stadt aus, doch die Angabe stellte den Fahrer zufrieden, der das Ziel in das Navigationsgerät eingab und seinen Wagen dann sehr gemächlich in Bewegung setzte.
    »Da hätten Sie auch vom Flughafen direkt hinfahren können«, sagte der Mann.
    »Wenn man alles im Voraus wüsste, würden Sie immer noch auf einen Fahrgast warten.«
    Der Fahrer machte nicht die geringsten Anstalten, das Tempolimit zu überschreiten. »Heute stehen die Blitzer an allen Ecken«, sagte er. »Wirtschaftskrise – der Staat braucht Geld. Aber von mir kriegt die Merkel nichts.«
    »Mhm.« Jo antwortete mit einem Grunzen. Nur mit Mühe konnte er sich dazu zwingen, nicht ständig einen Blick aus dem Heckfenster zu werfen.
    Als der Taxifahrer auf seine Kommunikationsversuche kaum längere Antworten erhielt, drehte er das Autoradio lauter. Die Klänge bayrischer Volkmusik waren eine Wohltat, Pixner entspannte sich. Zur vollen Stunde vermeldeten die Nachrichten einen Jahrhundertraub in Italien, und dass sogar in Deutschland nach den Tätern gefahndet werde.
    »So ist er, der Italiener«, sagte der Taxifahrer. »Was nicht niet- und nagelfest ist, das nimmt er mit. Wir Deutsche waren damals leider nicht lange genug dort, um denen unseren Ordnungssinn einzutrimmen. Wo kommen Sie denn her, mein Herr?«
    »Schwaz in Tirol«, log er. »Da gibt’s die feschesten Madeln von ganz Österreich.« Dies wusste er aus Erfahrung.
    Sein Dialekt überzeugte den Fahrer davon, dass er kein italienischer Goldräuber sein konnte.
    Eine Dreiviertelstunde später beglich Jo den Fahrtarif und rundete den Betrag auf. Langsam überquerte er den Vorplatz der Stadtverwaltung, bis das Taxi außer Sichtweite war, und machte dann kehrt. Wenig später fand er einen Platz in der rustikalen Klosterstube eines alteingesessenen Wirtshauses, bestellte eine Brezel und ein Weißbier, das er in zwei Zügen leerte. Aus der Speisekarte wählte er eine Portion gekochtes Ochsenfleisch mit Wirsing, Kartoffeln und Kren.
    »Durst ist schlimmer als Heimweh«, sagte die stämmige Kellnerin im geblümten Dirndl, aus dem ihr schlaffer Busen

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