Im eigenen Schatten
Mittagessen gebeten, bei dem die Weichen für die Zukunft gestellt werden sollten. Nick, der das erste Glas vor einer Enoteca in der Viale Europa Unità zu sich genommen hatte, wo auch Einstein und der Direktor gesessen und leise die Lage besprochen hatten, wippte auf seinem Stuhl am Kopfende des Tischs nervös mit dem rechten Bein. Donna Rita und Ernesto Galimberti saßen den Zwillingen gegenüber. Nach ihrer perfekten Frisur zu schließen, musste Donna Rita Carli im Hotel viel Zeit vor dem Spiegel verbracht haben. Das Kleid ihres sandfarbenen Kostüms, dessen Jacke sie abgelegt hatte, saß wie immer perfekt, und ihr Make-up schien das Werk einer Hollywood-Visagistin zu sein. Der erhebliche Altersunterschied zu ihrem Begleiter fiel kaum auf. Galimberti, der sonst nur teure, maßgeschneiderte Anzüge trug, war für seine Verhältnisse geradezu salopp gekleidet. Der feingliedrige Mann hatte sein Hemd nicht in die hellen Jeans gestopft, die Mokassins trug er barfuß, die Sonnenbrille stammte aus dem Designstudio eines deutschen Sportwagenherstellers, und sein dunkler Dreitagebart stand ihm so ausgezeichnet, dass er für eine TV-Schmonzette die Idealbesetzung des Latin Lovers gewesen wäre. Selbst wenn er bei Gericht im Talar seine eiskalten Plädoyers hielt, tat er es stets mit zynischem Charme und der Wendigkeit eines Chamäleons. Seine Blicke galten vor allem Magdas Schwester, die ihm gegenübersaß.
»Xenia ist ein Schatz«, sagte Gertraud. »Als sie in Duino noch Chefin der Polizia Marittima war, wurde sie von allen gemocht. Auch wenn mit ihr nicht zu spaßen war, falls etwas vorlag. Manchmal hat sie mich auf einen Drink besucht. Ich habe sie schon oft gefragt, weshalb sie bei ihrem Aussehen und mit ihrer Bildung ausgerechnet Polizistin geworden ist. Familientradition, war die Antwort. Worüber habt ihr geredet?«
»Nichts weiter. Die Trauerfeier, der Empfang und die Gäste. Sie hat sich für die Straßensperre vor unserer Einfahrt entschuldigt. Es sei eine Anweisung von oben gewesen. Angeblich hat der Beamte, der sie angeordnet hatte, wegen der Beschwerde eines unserer Gäste einen Rüffel erhalten. Ich wusste bisher nicht, dass Xenia von Verwandten adoptiert worden ist, sie hat ihre Mutter bei der Geburt verloren wie auch den Vater; es war die Nacht des Erdbebens im Friaul. Wir sind übrigens gleich alt. Dann hat sie noch gefragt, ob wir von dem Goldtransport wussten. Natürlich nicht, habe ich gesagt. Der Rest des Gesprächs war Geplänkel über die laufende Saison, sie hat sich erkundigt, aus welchen Regionen die Hotelgäste kämen. Gott sei Dank können wir uns trotz Krise nicht über die Auslastung beklagen.«
»Erfreulich zu hören«, sagte Nick und winkte dem Kellner, um einen weiteren Aperitif zu bestellen. »An diesem Wochenende müsstest du ausgebucht sein. Im Hotel sind eine Menge Gäste, die ich bei der Trauerfeier gesehen habe. Ah, wenn mich nicht alles täuscht, kommt endlich auch der Spaltkopf.« Er zeigte auf die Kreuzung, hinter der das Gebrabbel eines getunten Motors abstarb.
»Gutes Gehör, Nick«, sagte Galimberti süffisant, während der Hüne mit dem entstellten Gesicht sich auf dem Kai näherte. »Schade, dass du die Musik vernachlässigst.«
Donna Rita nahm ihre Handtasche von dem freien Stuhl und hängte sie über die Lehne. »Setz dich, Gundolf, bevor wir vom Aperitif betrunken sind. Du hast uns warten lassen.«
»Verzeiht«, sagte Moser. »Irgendein Trottel hat geglaubt, er müsste unbedingt auf der Brücke über den Isonzo überholen. Totalsperrung und viele Blaulichter. Ich musste den ganzen Umweg über Fiumicello und Aquileia machen.« Er warf einen flüchtigen Blick in die Speisekarte. »Ich nehme das Gleiche, was die Zwillinge bestellt haben«, sagte er zum Kellner. »Und bringen Sie uns bitte den Gewürztraminer von Spechtenhausers Südtiroler Gut. Stellen Sie gleich eine zweite Flasche kalt.«
»Wir führen nur lokale Produkte, Signore.«
»Dann die Ribolla Gialla, aber immer von Spechtenhauser. Wir sitzen nicht ohne Grund hier.«
»Der Patriarch eröffnet die Sitzung«, spottete Nick und fing sich dieses Mal einen strafenden Blick seiner Mutter ein.
»Er durchlebt einen schwierigen Moment, verzeih bitte«, sagte Donna Rita zu Moser. »Besonders originell ist er derzeit leider nicht.«
Moser schenkte der Sache nicht die geringste Beachtung. »In der Tat haben wir eine Menge zu besprechen. Verfahrensfragen. Details sind nichts fürs Restaurant, die gehen wir morgen früh
Weitere Kostenlose Bücher