Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im eigenen Schatten

Im eigenen Schatten

Titel: Im eigenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
Vom Netzwerk:
fünf Villnösser Brillenschafe blökten weiter oben, und näher beim Hof auf der kleineren Weide wuselten drei blonde Turopolje-Schweine mit Ringelschwänzchen und elf Ferkeln aus dem erst ein paar Wochen zurückliegenden Wurf. Anton sagte stets, sie seien das einzige Slawische, was ihm ins Haus käme, tolerierbar nur deshalb, weil es sich um direkte Nachfahren des längst ausgestorbenen Gurktaler Schweins handelte, eine Rasse, die schon im Kaiserreich gezüchtet worden war. Sie unterscheide sich von den Turbosauen durch langsames Wachstum und die hervorragende Qualität des Fleisches. Fast den ganzen Winter könnten sie draußen bleiben, brauchten wenig Getreide, und sogar Förderung gab es, weil er sich um eine vom Aussterben bedrohte Rasse bemühte.
    »Wo kommst du her?«, fragte Anton. »Seit wann bist du draußen?«
    »Schon seit ein paar Monaten. Ich war ein paar Tage in München und bei Freunden in Tirol. Kannst du mich eine Weile beherbergen? Die Ruhe hier oben täte mir gut.«
    »Hast du deine Mutter schon besucht?«
    Jo schüttelte den Kopf. »Das hat Zeit.«
    »Bleiben kannst du schon. Du kannst mir beim Holzmachen helfen. Der nächste Winter kommt bestimmt.«
    »Gerne, Toni«, sagte Jo und atmete auf.
    »Ich hoffe nur, dass du nicht schon wieder etwas ausgefressen hast.« Mit seinen graublauen Augen fixierte er den Glatzkopf.
    Jo kaute den Speck und schnitt noch einen Kanten vom Brot mit der dicken Kruste ab, das Anton selbst gebacken hatte. »Du weißt ja gar nicht, wie sehr ich mich nach einer solchen Marend gesehnt habe.«
    »Wenn’s schon Winter wäre, könntest du mir beim Schlachten helfen. Dieses Jahr ist die Zweijährige dran, und das ältere Rind ist eigentlich auch bald so weit. Aber ich glaube, ich lass es vorher noch decken. Also, wieso bist du zu Fuß herauf gekommen? Raus mit der Sprache, Johann.«
     
    Nach wenigen Kilometern hatte Jo kurz vor der Zahlstelle der Mautstrecke über den Brennerpass den gelben Kleinwagen vor den Augen einer Streife der Carabinieri gemächlich von der Autobahn auf die Staatsstraße 12 gelenkt und war Richtung Sterzing weitergefahren, das auf italienisch Vipiteno hieß. In der Altstadt stellte er den Wagen auf dem Parkplatz hinter einem Gasthaus ab und wischte seine Fingerabdrücke von Lenkrad, Schaltknüppel, Fensterhebern und Türgriffen.
    Den Kennzeichen nach wurde dieses Lokal vorwiegend von Einheimischen besucht. Jo schaute sich um, niemand schien sich für ihn zu interessieren. Zwischen den geparkten Wagen entdeckte er einen betagten schwarzen Saab, bei dem die Zündschlüssel steckten. Er hatte es selbst oft so gehalten, wenn er auf ein Glas lang vor den Wirtshäusern parkte, in denen er Stammgast war. Seiner festen Überzeugung nach war in Südtirol die Welt noch in Ordnung, solange man die Italiener und die anderen Ausländer im Griff hatte. Autodiebstähle waren eine Seltenheit, Bankraub und Wohnungseinbrüche, Mord und Totschlag lagen am unteren Ende der Kriminalstatistik.
    »Eisacktaler Genießerstraße«, verkündete ein Schild neben der Ortstafel. Er passierte die Unterführung unter der Autobahn und folgte der Landstraße Richtung Meran. Die Turmuhr der Wallfahrtskirche Zu den sieben Schmerzen Mariens schlug einmal, als er parkte und wiederum sorgfältig seine Fingerabdrücke im Wagen abwischte. Beruhigt nahm er zur Kenntnis, dass zur Zeit des Mittagessens der Platz wie leergefegt war, und ging schnellen Schrittes eine Seitenstraße hinauf, die schon bald in einem Fichtenwäldchen verschwand. An dessen Ende bog er auf einen grob geschotterten Weg ab, der steil den Berg hinaufführte, und duckte sich unter der Schranke mit dem Warnschild durch.
    »Ich bin zur falschen Zeit am falschen Ort im falschen Flugzeug gesessen, Toni. Das ist auch schon alles, außer dass ich meinen Personalausweis am Flughafen in Triest verloren habe. Und du weißt selbst gut genug, dass einer mit meinem Lebenslauf gut daran tut, erst einmal für eine Weile zu verschwinden, wenn er sich nicht einer Menge lausiger Verhöre durch die italienischen Bullen aussetzen will. Sie foltern zwar nicht mehr, aber man weiß nie. Mein Konterfei haben alle Blätter abgedruckt.«
    Der Cousin war heute offensichtlich nicht ins Dorf hinabgefahren, um die Zeitung zu kaufen. Die Nachrichten am Vorabend und am Freitag allerdings hatte er gesehen.
    »Triest, sagst du?«
    Jo nickte stumm.
    »Du hast doch nicht etwa mit diesem Jahrhundertraub auf der Autobahn zu tun?« Anton schaute ihn mit

Weitere Kostenlose Bücher