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Im eigenen Schatten

Im eigenen Schatten

Titel: Im eigenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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gestern Nachmittag das Haus meines Vaters durchsucht?«
    »Routine, Magda«, sagte Xenia nach einem Weilchen. »Sie versuchen herauszufinden, was er zuletzt getan, mit wem er gesprochen, telefoniert oder wen er gesehen hat. Sie suchen nach einem Motiv.«
    »Motiv wofür?«
    »Es war Mord, Magda. Ich weiß, das klingt hart. Aber bei einem Sprengstoffattentat kann man es nicht anders nennen. Und Ermittler gehen grundsätzlich davon aus, dass das Opfer ein Motiv für die Tat geliefert hat.«
    »Welches?« Magda schluckte trocken, ihre Augen waren gerötet. Die Contenance, die sie die ganzen letzten Tage aufgebracht hatte, war im vertrauten Umgang dahin.
    »Motive gibt es wie Sand am Meer: Enttäuschte Liebe und Hass, Habgier, Neid, Abrechnungen, aufgestaute Aggressionen, Gebietsansprüche oder Rache können täglich in Gewalt münden. Und auch Selbstverteidigung oder die Rettung eines Dritten.«
    Magda fuhr hoch. »Diese Dinge sieht man im Fernsehen. Aber Papa hat nun wirklich niemand etwas Böses angetan, und im Geschäft stand er auch nicht mehr selbst.«
    »Du und Trudi habt das Glück, dass euch euer Vater geliebt und gehätschelt hat, Magda. Was du im Moment fühlst, ist ganz einfach Trauer. Sie heilt mit der Zeit den Schmerz. Und sie öffnet die Augen. Irgendwann wird dir dazu etwas einfallen, glaub mir.«
    »Weißt du, was Trauer ist?«, fragte Magdalena ungläubig.
    »Nein. Ich habe beide Eltern am Tag meiner Geburt verloren und wurde von Verwandten großgezogen.« Xenia schaute sich um, nirgendwo war ein Aschenbecher zu sehen. Trotzdem begann sie sich eine Zigarette zu drehen.
    »Kennst du diesen Laurenti gut?«
    »Er war mein Ausbilder, als ich in Triest die Polizeischule besucht habe. Bei ihm liegt der Fall in den besten Händen, verlass dich auf ihn.«
     
    Der Mareienhof, den Anton Pixner, ein kräftiger Mann mit vollem grauen Haar, vor ein paar Jahren von seinen Eltern geerbt hatte und seit der Scheidung allein bewohnte, lag weitab von den anderen und bot einen wunderbaren Ausblick über das Passeiertal westlich von Riffian. Die meisten seiner Ländereien sowie die große Scheune hatte Anton an einen Nachbarn verpachtet. Er führte nur eine kleine Landwirtschaft, baute Obst und Gemüse für sich selbst an und hielt ein bisschen Vieh und Geflügel. Im vergangenen Jahr war er in Rente gegangen und hatte seine Steuerberaterkanzlei in Meran gegen eine angemessene Abgeltung einem jüngeren Mitarbeiter übergeben. Einige alte Kunden hatte Anton noch behalten und erledigte deren Buchhaltung oder die Bilanzierungen ohne Quittung gegen Bargeld. Platz gab es genug, viel mehr als er allein nutzen konnte. Demnächst wollte er den geplanten Ausbau des dreistöckigen Gebäudes zu Ferienwohnungen realisieren. Er würde sogar an Italiener vermieten. Die hohen verlorenen Zuschüsse der Provinzregierung lockten ungemein, genauso wie die steuerliche Absetzbarkeit der Investition in Zeiten, in denen die Abgabenlast immer drückender wurde.
    »Alle Jahre stirbt hier eine Sau aus, Johann«, feixte der Einundsechzigjährige und schnitt Speck und Wurst auf, »sobald sie groß und fett genug ist.«
    Er hatte mit einem Glas Weißbier in der Sonne an dem rustikalen Holztisch neben der Haustür gesessen und zufrieden die Rosen und Geranien betrachtet, die dank seiner Pflege in üppiger Blüte standen, als er einen Mann den steinigen Weg heraufkommen sah. Anton erwartete keinen Besuch, und die Zufahrt hatte er nie ausbauen lassen. »Einfahrt streng verboten – Privatgrundstück« stand groß und abweisend an der Schranke, hinter der sein Grund begann. Nur der Bauer, der das Land gepachtet hatte, und ausgesuchte Freunde erlaubten sich, sie zu öffnen. Zu Fuß heraufzukommen, hatte sich bisher noch niemand die Mühe gemacht. Erst als sein Cousin zweiten Grades sich bis auf hundert Meter genähert hatte und winkte, erkannte er ihn: Jo. Er hatte den kahlköpfigen jungen Mann mit dem Stiernacken seit Jahren nicht mehr gesehen.
    »Meine Schweine geben den besten Speck«, sagte Anton und schenkte Bier nach. »Greif zu, lass es dir schmecken. Du wirst sehen, wie gut er ist. Selbstgeschlachtet, selbstgeräuchert, zwei Jahre luftgetrocknet.«
    Johann trank auch das nächste Glas in einem Zug aus und rülpste zufrieden. Die letzten Kilometer den Berg hinauf hatten ihn durstig und hungrig gemacht.
    Zwei weiße Pustertaler Sprinzen und ein Kalb mit kastanienbraunen Flanken, die in kleine Tupfer ausliefen, grasten auf der Alm hinter dem Anwesen,

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