Im eigenen Schatten
Lampe. Niemand außer der spindeldürren Polizistin mit dem grauen Gesicht befand sich im Gebäude. Verbissen hatte sie die Nacht durchgearbeitet und endlich einen Hinweis gefunden, der sie ihre Erschöpfung und das leichte Frösteln schlagartig vergessen ließ. Seit Samstagmorgen war sie die Videoaufnahmen der Flughafenüberwachung durchgegangen und hatte die Bilder aller Passagiere herausgezogen, die am Freitag von Triest weggeflogen waren, sie in das zentrale Database eingelesen, das den automatischen Abgleich startete. Umso länger diese Auswertung bei einem Passagier lief, desto geringer war die Chance, dass er sich in der Kundendatei befand.
Die letzten beiden Informationen, welche die Datenbank dicht hintereinander ausspuckte, jagten den Adrenalinspiegel der Beamtin so nach oben, dass sie keine Sekunde zögerte, den Ermittlungsrichter in seinem Hotelzimmer aus dem Schlaf zu holen.
»Mindestens zwei Personen haben mit falschen Papieren eingecheckt«, sagte die Polizistin, nachdem Battista Malannino sich nach dem achten Klingeln mit belegter Stimme gemeldet hatte. »Kommen Sie schnell, Richter. Die achtundvierzig Stunden sind bald vorbei.«
»Was ist bald vorbei?« Malannino räusperte sich verschlafen. In einem ausgezeichneten Restaurant, nur wenige Kilometer vom Flughafen entfernt, hatte er am Abend mit einem befreundeten Kollegen aus Udine ausgiebig zu Abend gegessen und beste Weine dazu getrunken.
»Die achtundvierzig Stunden, in denen wir Resultate haben sollten, falls wir den Fall, wenn überhaupt, nicht erst in ein paar Monaten klären können.«
Es war eine alte Regel, von der niemand zu sagen wusste, ob sie nicht nur ein Märchen war, die besagte, dass bei Kapitalverbrechen die ersten zwei Tage in der Ermittlungsarbeit ausschlaggebend seien, da die Spuren noch frisch waren.
»Schalten Sie die Espressomaschine ein«, knurrte Malannino und legte auf.
Eine halbe Stunde später stand er neben der Polizistin vor der grauen Betonwand, an die sie bereits am Freitag die Fotos von Johann Pixner geheftet hatte.
Der Richter nahm ein paar Blätter von der Wand: amtliche Fotos eines schwarzhaarigen sportlichen Mannes, im Profil und frontal.
»Cassara, Salvatore, 1967 in Bagnara Calabra geboren«, las er kurzatmig vor. »Er hat Schlagzeilen gemacht, ich kann mich noch gut daran erinnern. Ein dreister Kunstraub in Rom und in Mailand der Raubüberfall auf ein Juweliergeschäft.«
Sein Finger glitt über die Zeilen des Lebenslaufs. »Zuletzt in Tolmezzo inhaftiert, vor zweieinhalb Jahren entlassen.« Er gab das Blatt der Beamtin zurück, deren Teint jetzt eine normale Färbung zeigte. »Wohin ist er geflogen?«
»Auch er ist in der ATR 72 nach München gesessen. Wir haben ihn deshalb nicht früher gefunden, weil sein Name nicht auf der Passagierliste stand. Er ist mit falschen Papieren gereist. Hier.« Die Polizistin wies auf eine Liste mit den Fluggästen, auf der jeder einzelne Name abgehakt war, bis auf zwei. »Entweder unter dem Namen Remigio Collini oder als Ermanno Kugy. Auch der hier ist mit falscher Identität gereist: Unterberger, Robert, aus Bozen, zweiundvierzig Jahre alt. Südtiroler mit einer beachtlichen Biografie. Rassistische Übergriffe in jungen Jahren, dann lange nichts und schließlich acht Jahre wegen schweren Betrugs, Mitglied einer kriminellen Vereinigung, Südtiroler Filz. Zwei Jahre Isolationshaft in Tolmezzo, danach normaler Vollzug.«
»Chapeau«, sagte der Ermittlungsrichter. »Wo sind eigentlich all Ihre Kollegen?«
»Um sechs kommt die erste Schicht. Ich war diese Nacht allein hier. Und ehrlich gesagt, ich muss jetzt ein paar Stunden schlafen, meine Konzentration ist am Ende.«
»Wo wohnen Sie?«
»In Padua.«
»Gehen Sie ins Hotel. Wir sehen uns um zwölf wieder.«
Sie nickte stumm.
»Gute Arbeit, Inspektorin«, sagte der Richter, als sie den Computer ausschaltete und ihre Uniformjacke anzog, die an ihrem Körper schlotterte. »Wie heißen Sie überhaupt?«
»Innocenza D’Ignoto«, sagte sie leise. Sie konnte nichts für diesen Nachnamen. Bisher hatte noch keiner ihrer Kollegen sich das Lachen darüber verbeißen können, dass eine Ermittlerin ausgerechnet einen solchen Namen trug: Unschuldige von Unbekannt.
»Du hättest Sonnencreme auftragen sollen, dein Kopf glüht wie eine reife Tomate. Aber so fällt wenigstens der Rotweinfleck nicht mehr auf, den deine Mutter vor Schreck verschüttet hat, als sie dich zum ersten Mal sah«, sagte Einstein schadenfroh und
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