Im eigenen Schatten
Xenia.«
»Halt doch wenigstens einen Augenblick die Klappe.«
Sie streckte die Hand nach ihrem Becher aus, trank aber nicht. Ihr Blick schweifte zur Mündung des Isonzo hinüber, wo sie die Lichtblitze ausgemacht hatte, und vor dem an der Punta Spigolo zwei in festem Rhythmus blinkende Positionsleuchten die enge Einfahrt der Fahrrinne markierten. Zeno leerte seinen Becher in einem Zug und griff stumm nach dem Tabakbeutel. Xenia saß angespannt wie eine Raubkatze an Deck, die versuchte, die Bewegungen eines nachtaktiven Tieres auszumachen, das sie wenig später fressen würde.
»Was ist denn?«, flüsterte Zeno.
»Da. Siehst du die Lichter jetzt?«
Xenias Arm wies zum Ufer hinter der Kanaleinfahrt. Zwei Scheinwerfer leuchteten aufs Meer hinaus.
»Der kleine Hafen mitten im Schilf, gegenüber der Isola della Cona? Da sind doch nur ein paar Hütten, ein paar Boote. Da war einer fischen, was sonst?«
»Ohne Positionslichter?« Xenia erhob sich.
»Die mit dem Auto weisen ihm den Weg. Vermutlich hat er Probleme mit der Elektronik.«
»Und womit hat er dann sein Lichtzeichen gegeben?«
»Du meinst, er will nicht gesehen werden?«, fragte Zeno kleinlaut.
»Schmeiß den Motor an, ich will mir das genauer ansehen. Aber halt ihn auf niedrigen Touren, damit uns niemand hört. An der Punta del Becco geh ich ins Wasser.«
Xenia zog ihr Bikinihöschen und ein schwarzes T-Shirt an, holte Schwimmflossen und Taucherbrille aus der Kabine und machte sich bereit. Nach einem kurzen Stück langsamer Fahrt ließ Zeno auf ihr Zeichen das Boot ausgleiten.
»Und weshalb verständigst du nicht einfach deine Kollegen?«, flüsterte er.
»Siehst du denn nicht, dass es da jemand eilig hat? Fahr rückwärts ins Schilf, damit dich niemand sieht. Und ohne auf einer Untiefe festzusitzen.«
Zeno sah ihre hellen Beine und Arme im schwarzen Wasser, als sie wegtauchte. Was blieb ihm anderes übrig, als Xenias Befehl zu gehorchen? Hatte sie sich einmal entschieden, gab es keine Widerrede und kein Zurück mehr. Behutsam steuerte er das Boot ins Schilf, den Außenborder hatte er so weit wie möglich angehoben, damit die Schraube sich nicht im Schlamm verhedderte. Kurz bevor das Boot in der Salzmarsch auflief, brachte er es zum Stehen. Zeno stieg aufs Deck. Im Naturschutzgebiet der Isola della Cona zeichneten sich die Silhouetten der weißen Camargue-Pferde ab. Der Motor des Kutters war abgestorben, und die Autoscheinwerfer waren wieder ausgeschaltet worden. Dort am Anleger, von wo jetzt verhaltene Stimmen zu vernehmen waren, meinte er den Umriss eines größeren Bootes auszumachen. Die Zeit schien stillzustehen.
Xenia nahm wie immer den Beruf viel zu ernst, sagte sich Zeno. Oft genug hatte er ihr deshalb vorgeworfen, dass sie ihm nicht genügend Aufmerksamkeit schenkte. Und doch wagte er jetzt vor Anspannung kaum zu atmen. Der Schrei eines Vogels zerriss die Nacht. Ihm folgte ein Geräusch, als wäre jemand ins Wasser gefallen, dann hörte er laute, aufgeregte Rufe. Ein Scheinwerfer schwenkte über die letzten hundert Meter des Flusslaufes.
Zeno erstarrte vor Schreck, als er die Erschütterung des Bootes spürte. Xenia zog sich an der Bordwand empor, legte den Finger auf die Lippen und zog Zeno zu sich in den Rumpf hinab. Das nasse T-Shirt klebte an ihrer Haut. Während sie Taucherbrille und Schwimmflossen abstreifte, wies sie ihn flüsternd an, auf ihr Zeichen, und keine Sekunde früher, den Motor anzulassen, doch das Ruder würde sie dann sogleich selbst übernehmen. Wieder und wieder suchten Scheinwerfer die Wasseroberfläche auf den letzten Metern des Flusslaufes ab, bevor er ins Meer mündete, und schwenkten langsam am dichten Schilf entlang.
Xenia wartete, bis die Lichtkegel wieder zur gegenüberliegenden Seite des kleinen Anlegers zurückschwenkten und endlich verharrten. Aufgeregte Männerstimmen drangen herüber. Sie gab Zeno das Zeichen. Der Motor spuckte ein paar Takte lang und lief dann ruhig, nach zwei Metern war das Boot aus dem Schilf heraus und die Schraube frei, Xenia schob den Gashebel bis zum Anschlag nach vorne und senkte den Außenborder ab. Mit einem Ruck hob sich der Bug und eine weiße Heckwelle zeichnete sich in der Flussmitte ab. Der Lichtkegel suchte das Boot, folgte ihm und traf wenig später den hellen Rumpf, an dessen Heck die Trikolore im Wind flatterte.
»Leg dich flach auf den Boden!«, rief Xenia über ihre Schulter. »Los.«
Schnurstracks steuerte sie auf die Mitte der Mündung zu, die kaum einen Meter
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